FT-CI

Trotsky y Gramsci

Trotzki und Gramsci: ein posthumer Dialog

01/01/2003

11. Februar 2012 in Klasse Gegen Klasse Nr. 2 Januar 2003 – zuerst erschienen in „Estrategia Internacional“ Nr. 19 Erste deutsche Ìbersetzung in „Internationale Strategie“ Nr. 1

Antonio Gramsci war wie Trotzki ein Erbe des Denkens der Komintern vor ihrer stalinistischen Entartung. Diese war die bedeutendste revolutionäre Organisation der ArbeiterInnenklasse, die jemals existierte: der Marxismus in der Offensive. Während heute der Trotzkismus nur noch eine sehr schwache Kontinuität mit jener revolutionären Bewegung der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg aufweisen kann, erfuhr die Theorie von Gramsci ein noch bittereres Schicksal. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Gramscis Denken von der italienischen KP von Palmiro Togliatti und später vom Euro-Kommunismus aufgegriffen, um eine Strategie zu formulieren, die offen das bürgerliche Regime unterstützte (eine theoretische Operation, die der Stalinismus mit dem Vermächtnis Trotzkis niemals hätte erfolgreich durchführen können); heutzutage ist diese Lektüre in akademischen Kreisen weit verbreitet und wird von KarrieristInnen und RegierungsbeamtInnen jeder Art benutzt. Obwohl wir in diesem Artikel die Grenzen von Gramscis Ansichten, wie wir sie sehen, behandeln, sind wir uns einer Sache sehr wohl bewusst: Genauso wenig wie der Stalinismus ein direktes Produkt des Bolschewismus ist, sondern vielmehr seine konterrevolutionäre Entartung darstellt, geht die Mehrheit von Gramscis AnhängerInnen, von denen viele „organische Intellektuelle“ der Bourgeoisie oder BeraterInnen der Gewerkschaftsbürokratie geworden sind, direkt aus dem Erbe der italienischen KommunistInnen hervor.

Wir sind keineswegs die Ersten, die eine kritische Parallele zwischen Trotzkis und Gramscis Ideen zu ziehen versuchen. Perry Anderson eröffnete vom Standpunkt des akademischen Marxismus aus eine Debatte um die Mehrdeutigkeiten von Gramscis Grundkonzept der Hegemonie. Dies stellte eine echte Pionierarbeit dar, in der Trotzkis theoretische Ansichten berücksichtigt werden, was bis dahin selbst trotzkistische Strömungen vollkommen versäumt hatten[1]. Das Hauptanliegen unserer Studie liegt darin, die beiden theoretischen Systeme in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen, besonders in ihren verschiedenen Eigentümlichkeiten wie z.B. der Begriff vom kapitalistischen Gleichgewicht und die Theorie der permanenten Revolution bei Trotzki und die Beziehung zwischen Manöverkrieg und Stellungskrieg bei Gramsci, sowie die Anwendungen seiner Kategorie der passiven Revolution, die, wie wir glauben, von den revolutionären MarxistInnen stark unterschätzt worden sind. Das erste Ergebnis der direkten Gegenüberstellung der beiden theoretischen Perspektiven ist die Entstehung neuer Konzepte sowie die Dialektisierung anderer, welche ein besseres Verständnis der komplexen politischen Weltlage seit dem Zweiten Weltkrieg ermöglichen: der Ära der sogenannten „Jalta-Ordnung“, in der sich auf der Basis des Siegs über den Nazi-Faschismus, die Hegemonie des US-Imperialismus auf der Welt sowie die schreckliche Kontrolle des Stalinismus über den größten Teil der internationalen ArbeiterInnenbewegung konsolidierte. Obwohl wir versuchen, durch neue theoretische Werkzeuge zu einem tieferen Verständnis darüber zu gelangen, „wie die herrschende Klasse herrschte“ in der Vergangenheit und auf welcher Grundlage ein neuer Massen-Reformismus nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstehen konnte, ist unser wichtigstes Ziel in unserer momentanen Situation die die Revolution behindernden Mechanismen zu entwirren und den Reformismus in der Gegenwart zu bekämpfen. Der Vergleich zwischen den Theorien von Gramsci und Trotzki verfolgt – im Kontext der konvulsiven Klassenkampfperiode zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, in der sie entstanden sind – vor allem das Ziel, die Beziehung zwischen den drei großen geschichtlichen Phänomenen, die die imperialistische Epoche bestimmen – kapitalistische Krisen, Kriege und Revolutionen – klarzustellen, um ihre künftige Dynamik zu bestimmen.

Zwischen den beiden Kriegen

Abgesehen davon, wie instabil oder dekadent die Situation des US-Imperialismus in der jetzigen Weltlage zu sein scheint, erscheint die Hegemonie des nordamerikanischen Imperialismus heute gewissermaßen naturgegeben. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war dies jedoch keineswegs der Fall, genauso wenig wie sich die Eroberung seiner Vormachtstellung als ein „natürlicher“ Prozess darstellte. Weit davon entfernt waren die Voraussetzungen dieser großen ist sie das Ergebnis eines Interregnums, in dem die Definition Lenins über die Epoche seit Beginn des ersten Weltkriegs ihren deutlichsten Ausdruck fand: eine „Epoche von Krisen, Kriegen und Revolutionen“. Der revolutionäre Marxismus musste der grundsätzlichen Wende innerhalb der Herrschaftsbeziehungen in dieser Epoche Rechnung tragen: Der Verschiebung der imperialistischen Hegemonie vom alten England zu den aufsteigenden USA. Was waren die Voraussetzungen dieser großen Veränderung und wie kam sie zustande?

Der marxistische Ökonom Isaac Joshua gelangt zu einer hervorragenden Synthese bezüglich der Zwischenkriegszeit und der Großen Depression.: „Die dem Goldstandard zugeschriebenen Missetaten haben gezeigt, dass die Pfundkrise einer der Schlüsselpunkte der Depression der ‘30er Jahre war. Eine Pfundkrise, die sich als eine Hegemoniekrise darstellte, oder besser gesagt, als eine Krise ”šzwischen zwei‘: Großbritannien kann die Zügel nicht mehr halten, während die USA noch unfähig sind, sie in die Hand zu nehmen. Die USA machen es Großbritannien unmöglich, weiter zu machen wie bisher, und werden ihrerseits bei dem Versuch, die Oberhand zu gewinnen, von Großbritannien behindert. Auch hier trug der Erste Weltkrieg seinen Teil bei: Er beschleunigte eine Entwicklung, die sowieso stattgefunden hätte. Was früher nur Haarrisse im Gebäude waren, wurde durch ihn zu breiten Rissen. Er setzte das Problem auf die Tagesordnung, konnte es jedoch nicht lösen. Die Geschichte eröffnete eine instabile Periode, und das Boot wurde führerlos der Gewalt des Windes überlassen.“

Joshua bemerkt auch: „1918 (…) war der Starke noch nicht stark genug und der Schwache noch nicht schwach genug. In ihrer internationalen Dimension stellt die große Krise deutlich eine Krise ”šzwischen zwei‘ dar, zwischen einem Ersten Weltkrieg, der sich damit zufrieden gab, die Probleme auf die Tagesordnung zu setzen, und einem Zweiten Weltkrieg, der sie zugunsten der amerikanischen Hegemonie löste.“[2]

Genau dies war die Periode, in der sich die revolutionäre Tätigkeit von Trotzki und Gramsci entfaltete, und die als Rahmen für den von uns angestrebten Vergleich zwischen ihren Positionen dient.

Zunächst wollen wir hervorheben, dass der erste gemeinsame Berührungspunkt zwischen Leo Trotzki und Antonio Gramsci darin besteht, dass beide der neuen Rolle der USA[3] als Weltmacht im Vergleich zu dem verfallenden England große Bedeutung zumaßen. Und das Wichtigste ist, dass beide dies vom selben methodologischen Standpunkt aus taten: dem Gesetz der Produktivität der Arbeit.

Mit Bezug auf die Ìberlegenheit des amerikanischen Kapitalismus behauptete Trotzki: „Das Gesetz der Produktivität der Arbeit ist von entscheidender Bedeutung bei den gegenseitigen Beziehungen zwischen Europa und Amerika und überhaupt bei der Bestimmung der zukünftigen Stellung der Vereinigten Staaten in der Welt. Diese höchste Form, die die Yankees dem Gesetz der Arbeitsproduktivität verliehen, ist das Fließband, die standardisierte oder Massenproduktion. Es könnte erscheinen, dass der Punkt, von dem der Hebel des Archimedes die Welt aus den Angeln heben sollte, gefunden war.“[4]

Im selben Sinne argumentierte Gramsci: „Was ist der Bezugspunkt für die entstehende neue Welt?“ Seine Antwort ist: „Die Welt der Produktion, der Arbeit“.

Daher widmet er dem Studium des Fordismus besondere Aufmerksamkeit und beschreibt diesen als die industrielle Politik, der die dynamischsten Sektoren der nordamerikanischen Bourgeoisie anhängen, um „die programmierte Wirtschaft zu erreichen“, in der „die neuen Methoden von Arbeit eng mit einer bestimmten Lebensweise, einer Denkweise und einem Lebensgefühl verbunden sind.“ All diese Elemente kündigen also eine neue Kultur an: den „Amerikanismus“[5].

„Allgemein läßt sich sagen, dass der Amerikanismus und der Fordismus“, behauptet Gramsci, „aus der immanenten Notwendigkeit hervorgehen, zur Organisation einer programmatischen [geplanten, A.d.R.] Ökonomie zu gelangen (…) den Ìbergang vom alten ökonomischen Individualismus zur geplanten Ökonomie signalisieren.” Und er behauptet darüber hinaus, dass in den USA „geschickt der Zwang (Zerstörung des Arbeiter-Gewerkschaftswesens auf territorialer Basis [Branchengewerkschaften A.d.R.]) mit der Ìberzeugung kombiniert (hohe löhne, verschiedene soziale Zuwendungen, ideologische Propaganda und äußerst geschickte Politik) und erreicht wurde, das gesamte Leben des Landes auf die Produktion zu gründen. Die Hegemonie entspringt in der Fabrik und braucht zu ihrer Ausübung nur eine minimale Menge professioneller Vermittler der Politik und der Ideologie.“

Außer dem gemeinsamen Anliegen, die Ìberlegenheit Amerikas aufzuzeigen, indem sie sich auf die Produktivität der Arbeit stützten, gehen beide von derselben Definition des in der Periode direkt nach dem Ersten Weltkrieg herrschenden Kräfteverhältnisses aus. Die Kategorie ”šinstabiles Gleichgewicht’ oder ”šrelative Stabilisierung’ des Kapitalismus stammt aus einem Bericht, den Trotzki dem III. Kongress der Komintern 1921 lieferte. Diese Ansicht, die auch die Komintern teilte, war beiden Revolutionären gemeinsam.

Diese Definition war folgende: „Das kapitalistische Gleichgewicht ist ein komplexes Phänomen; das kapitalistische Regime stellt dieses Gleichgewicht her, zerstört es, um es wieder herzustellen und es wieder zu zerstören, wobei es jedes Mal die Grenzen seiner Herrschaft ausweitet. Auf der wirtschaftlichen Ebene stellen die Krisen und die Verschärfungen der Aktivitäten, Brüche und Wiederherstellungen des Gleichgewichtes dar. Auf der Ebene der Klassenbeziehungen drückt sich der Bruch des Gleichgewichtes in Streiks, in lock-outs oder im revolutionären Kampf aus. Auf der Ebene der Beziehungen zwischen Staaten drückt sich der Bruch des Gleichgewichtes in der Regel in Kriegen zwischen Staaten, oder in abgemilderter Form in Zoll- bzw. Wirtschaftskriegen aus oder auch in wirtschaftlichen Blockaden. Der Kapitalismus hat also ein instabiles Gleichgewicht, das von Zeit zu Zeit bricht und sich danach wieder einstellt. Gleichzeitig besitzt dieses Gleichgewicht eine gewaltige Widerstandskraft: Das beste Beispiel hierfür ist der Fortbestand des Kapitalismus.“

Weit entfernt von irgend einer Form von wirtschaftlichem Determinismus behauptet Trotzki, dass „die Analyse von wirtschaftlichen Zuständen und Tendenzen sowie der politischen Weltlage als Ganzem, mit ihren Beziehungen und Widersprüchen, d.h. inklusive ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten, die die einzelnen Bestandteile zueinander in Widerspruch setzen, als Ausgangspunkt betrachtet werden soll.“[6]

Die Originalität von Trotzkis Ansatz liegt darin, dass er die Rolle von subjektiven Faktoren als entscheidende Elemente im Gang der kapitalistischen Wirtschaft anerkennt, was diejenigen, die ihm Gemeinsamkeiten mit dem wirtschaftlichen Determinismus der Zweiten Internationale[7] unterstellen, offensichtlich übersehen haben. Um alle Zweifel auszuräumen: „Wenn wir gefragt werden: ”šWelche Garantien gibt es dafür, daß der Kapitalismus sein Gleichgewicht nicht durch zyklische Schwankungen wieder herstellen wird?‘, würden wir dann antworten: ”šEs gibt keine und es kann keine Garantien geben.’ Wenn wir die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse und ihres Kampfes sowie die Arbeit der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften außer Acht lassen und dafür die objektiven Mechanismen des Kapitalismus als Maßstab nehmen, könnten wir dann sagen: ”šSollte die Intervention, der Kampf, der Widerstand, die Selbstverteidigung und die Offensive der Arbeiterklasse scheitern, könnte der Kapitalismus natürlich sein Gleichgewicht wiederherstellen, jedoch nicht das alte, sondern eine neue Art von Gleichgewicht.“[8]

Gramsci seinerseits entwickelt den Begriff der „organischen Krise“, der, obwohl er hauptsächlich auf der Ebene des Nationalstaates angewandt wird, mit dem Begriff „Bruch des kapitalistischen Gleichgewichts“ vergleichbar ist, den Trotzki zur Analyse des internationalen Szenariums benutzt[9]. Um das Kräfteverhältnis zu bestimmen, weist Gramsci darauf hin, dass es eine andere Sache ist, zu bestimmen, „ob die fundamentalen geschichtlichen Krisen unmittelbar durch die Wirtschaftskrisen bewirkt werden. (…) Ausgeschlossen werden kann, daß die unmittelbaren Wirtschaftskrisen von sich aus fundamentale Ereignisse hervorbringen; sie können nur einen günstigeren Boden für die Verbreitung bestimmter Weisen bereiten, die für weitere Entwicklung des staatlichen Lebens entscheidende Fragen zu denken, zu stellen und zu lösen. (…) Auf jeden Fall kam es zum Bruch des Gleichgewichts nicht aus unmittelbar mechanischen Gründen der Verelendung der gesellschaftlichen Gruppe, die Interesse daran hatte, das Gleichgewicht zu zerbrechen und es auch in der Tat zerbrach, sondern vollzog sich im Rahmen von oberhalb der unmittelbar ökonomischen Welt angesiedelten Konflikten, die mit dem Klassen-”šPrestige‘ (künftige ökonomische Interessen), mit einem Aufbäumen des Unabhängigkeits-, Autonomie- und Machtempfindens zusammenhingen.“[10]

Ausgehend von dieser gemeinsamen theoretischen Grundlage – nennen wir sie ökonomisch antikatastrophistisch – von der sowohl Trotzki und Gramsci in den ’20er Jahren ausgehen[11], werden wir nun die von den beiden Revolutionären aufgezeichneten Perspektiven für die internationale Lage in der nächsten Periode betrachten.

Die „passive Revolution“

Eine Studie bemerkt: „Gramscis Beobachtung, die besagt, dass die zeitgenössische historische Periode nach dem Ersten Weltkrieg vom Begriff ”špassiver Revolution’ ausgehend untersucht und analysiert werden kann, ist wichtig. Nach den Verheerungen des Weltkrieges und der anschließend folgenden tiefen Krise, die mit der Niederlage der proletarischen Revolution im Westen endete, schien eine ganze Epoche zu Ende zu gehen. In der Tat war es der Bourgeoisie gelungen, die Situation unter Kontrolle zu bringen und die revolutionären Kräfte trotz hartnäckigen Widerstands zu neutralisieren. Daher schien die Periode ”šrelativer Stabilisierung‘ des Kapitalismus mehr als eine bloße konjunkturelle Zwischenstation.“[12]

Tatsächlich stellt sich Gramsci die Frage, ob „der Amerikanismus eine geschichtliche ”šEpoche‘ bilden kann, das heißt, ob er eine schrittweise Entwicklung vom (…) Typus der fürs letzte Jahrhundert charakteristischen ”špassiven Revolutionen‘ hervorbringen kann (…), oder ob [er] statt dessen nur die molekulare Anhäufung von Elementen darstellt, die dazu bestimt sind, eine ”šExplosion‘ hervorzurufen, das heißt einen Umsturz französischen Typs“[13], wobei er diese letzte Möglichkeit gegenüber den schon von Marx und Engels angesprochenen „Revolutionen von oben“ vorzog.

Das Konzept der passiven Revolution[14] nach Gramsci entsteht aus dem Zusammenfluss von mindestens drei Quellen.

Die Idee einer Wiederanpassung der herrschenden Klasse mittels einer „Revolution von oben“ als Antwort auf den Druck der Massen kann schon bei Marx selbst gefunden werden, sowie auch der Ursprung des von Trotzki verwandten Begriffes „permanente Revolution“ in Marx‘ Schriften seinen Ursprung hat. Jedoch bedeuten beide Kategorien in der imperialistischen Epoche nicht genau dasselbe wie im 19. Jahrhundert. Marx und Engels schließen 1851 nach dem Putsch von Louis Bonaparte in Frankreich: „Die Periode der Revolutionen von unten war einstweilen geschlossen; es folgte eine Periode der Revolutionen von oben“, und führen als Beispiel nicht nur die mit Bonaparte erfolgte Rückkehr zum Imperium in Frankreich, sondern auch „seinen Nachahmer Bismarck“, der in Preußen „seinen Staatsstreich und seine Revolution von oben 1866“ vollzog, an[15].

Daher kommt die analoge Schlussfolgerung des italienischen Revolutionärs: Wenn auf die Periode der bürgerlichen Revolutionen, angefangen 1789 mit der großen Französichen Revolution bis 1848, der Zyklus der „Revolutionen von oben“ folgt, stellt sich die Frage, ob die bolschewistische Revolution von 1917, das „Frankreich“ der Ära der proletarischen Revolution, nicht von einem Zyklus passiver Revolutionen beantwortet werden könnte. In dieser gramscianischen Interpretation der Beziehung zwischen dem revolutionärem Aufschwung und der entsprechenden Gegenreaktion der Konterrevolution, bei gleichzeitiger Umwandlung zum modernen Staat der westlichen Demokratien, liegt eine der Grundlagen für seine Definition: „die Formel von achtundvierzig von der ”špermanenten Revolution’ wird in der politischen Wissenschaft durch die Formel der ”šzivilen Hegemonie’ entwickelt und überholt“[16], weil „die inneren und internationalen Organisationsbeziehungen des Staates komplexer und fester wurden.“ In diesem Sinne bedeuteten auch der Fordismus und der Amerikanismus – mit den von ihnen durchgeführten staatlichen Modifizierungen – einen Entwicklungsversuch der Produktivkräfte auf der Basis der relativen Stabilität, die der Kapitalismus in den ’20er Jahren dank der Zurückschlagung der internationalen revolutionären Welle – die dank der Auswirkungen der Oktoberrevolution 1917 in Europa besonders ausgeprägt war – erreichte; daher bezeichnet Gramsci die passive Revolution auch als eine „Revolution-Restauration“.

Zweitens greift Gramsci die Idee der italienischen Geschichte selbst auf: „der Begriff ”špassive Revolution‘ im Sinne Vincenzo Cuocos in Bezug auf die erste Phase des italienischen Risorgimento“[17], den er auf die ganze Periode der nationalen Einigung ausweitet, die mit den Ereignissen von 1848 und 1849 beginnt und 1871 mit der Eroberung Roms als Hauptstadt Italiens endet. Die Einigung Italiens als bürgerliche Nation wurde innerhalb der von der Allianz der Bourgeoisie aus dem Norden mit den GroßgrundbesitzerInnen aus dem Süden gesteckten Grenzen durchgeführt. Anders als bei der großen Französischen Revolution wurde dabei den Bauern/Bäuerinnen weder Land gegeben noch sonstige Zugeständnisse gemacht. So wurde eine historisch gesehen fortschrittliche Aufgabe wie die Einigung Italiens auf reaktionäre Art und Weise durch die Partei der Moderaten und auf militärischer Ebene durch die Armee und den Staat Piemonts durchgeführt. Dies löste eine „Diplomatisierung der Revolution“ aus, die im krassen Gegensatz zum französischen Modell steht. Dafür bediente sich die Bourgeoisie des „Transformismus“, einer Methode, mit der sie die radikalsten FührerInnen der Aktionspartei in das Programm der Moderaten eingliederte, sie vereinnahmte und quasi transformierte. Auf diese Weise ordneten sich die radikalen FührerInnen dem rechten Flügel des Prozesses unter, statt eine aktive Rolle zu spielen, wie seinerzeit die „Jakobiner“. Gramsci warnte also vor einer von oben paktierten „passiven Revolution“, die bürgerliche Bremse der sozialistischen Revolution also, die nun in der Epoche der proletarischen Revolution drohte[18].

Schließlich macht Gramsci von diesem Begriff angesichts einer brennenden politischen Notwendigkeit Gebrauch: eine Antwort auf den Aufstieg des Faschismus zu geben. Gramscis Position steht in krassem Widerspruch zu der Einschätzung der Führung der KPI über die Erfolgsaussichten Mussolinis. Trotzki äußerte sich darüber mit den folgenden Worten: „Mit Ausnahme des einzigen Gramsci schloß die Kommunistische Partei, wie mir italienische Freunde mitteilen, selbst die Möglichkeit der faschistischen Machtergreifung aus.”[19] Obwohl Gramscis Analyse dieses neuen Phänomens – die großangelegte Mobilisierung der Mittelschichten gegen die ArbeiterInnenklasse – scharfsinniger als die ultralinke Position Bordigas war, näherte er sich erst 1924 an die von Trotzki und der Dritten Internationale vorgeschlagene Einheitsfrontpolitik der ArbeiterInnenklasse gegen den Faschismus in Italien an[20]. Jahre später lehnte er – wie Trotzki – die Orientierung der stalinistischen KPI der „dritten Periode“ ab, die jegliche Zusammenarbeit oder Einheitsfront mit der SPI und den reformistischen ArbeiterInnenorganisationen ablehnte, weil diese „sozialfaschistisch“ seien.

Der Grund für die Betonung des Begriffes ”špassive Revolution’ in seiner Theorie ist sein Versuch, die Geschehnisse der Zeit auf eine andere Art und Weise zu erklären und eine Antwort zu liefern, die den Bedürfnissen der Massenbewegung gerecht würde. Denn das bis dahin unbekannte Phänomen des italienischen Faschismus ist nicht reine Repression sondern bemüht sich auch, einen neuen Konsens unter breiten Schichten der Massen zu erreichen. Nach der Wirtschaftskrise von 1929 entwickelte eine Strömung des Faschismus sogar die Hypothese einer ”šRationalisierung-Umorganisierung’ des Produktivapparates, d.h., einer italienischen Version vom ”šAmerikanismus’ mittels des ‘Korporativismus’, der sich auf eine Art von ”šVereinigung zwischen der Regierung der Massen und der Regierung der Produktion’ gründet. Gramsci betrachtet dieses Phänomen als den Versuch, die „organische Krise“ des Staates zu überwinden.

Somit sehen wir, dass die passive Revolution in der imperialistischen Epoche ihre Bestätigung findet, indem sie eine „reformistische Umwandlung der wirtschaftlichen Struktur erfährt, von einer individualistischen zu einer geplanten (dirigierten) Wirtschaft, und indem eine ”šHalbwirtschaft’ zwischen der rein individualistischen und der allumfassenden Planwirtschaft entsteht“, wobei er mit letzterer die sozialistische Planwirtschaft meint. Die Bourgeoisie erreichte diese „Halbwirtschaft“ mittels der staatlichen Mechanismen des „Korporativismus“, was dem Kapitalismus einen Schritt in Richtung modernere politische und kulturelle Formen ermöglichte und somit half, die katastrophale Phase zu überspringen bzw. zu überwinden.

Für Grmsci gibt es zwei mögliche Wege für eine kapitalistische Erholung: „den Amerikanismus“ mit Roosevelts „new deal“ auf der einen und den Faschismus auf der anderen Seite. Indem er eine sonderbare Abstraktion der faschistischen BürgerInnenkriegsmethoden gegen die ArbeiterInnenklasse, gegen ihre Organisationen und ihre Avantgarde vornimmt, findet er jedoch einen gemeinsamen Nenner bezüglich der strukturellen Ziele, die sie verfolgen. Diese sind nicht nur, „die antagonistischen Kräfte zu zerstreuen“, das Proletariat von den Bauern/Bäuerinnen zu trennen, sondern auch die Wiederbelebung eines verjüngten Kapitalismus – auf einer neuen Grundlage – zu erreichen. Sowohl der Amerikanismus als auch der Faschismus stellen für Gramsci den Versuch dar, den Kapitalismus „von oben“ zu „modernisieren“, und beide können mit dem Begriff „passive Revolution“ verbunden werden, der zunächst als eine wirtschaftlich-soziale Kategorie entsteht, der aber auch wichtige staatliche Veränderungen beinhaltet und braucht.

Neben den Veränderungen in den sozioökonomische Bedingungen und in den Gewohnheiten, die der Amerikanismus mit sich brachte, entstand allmählich ein neuer Typ von Staat, der diese durchsetzen sollte: „Der Staat ist liberal, nicht im Sinne des Liberalismus der Zölle oder der tatsächlichen politischen Freiheit, sondern in einem tieferen Sinn, d.h., der freien Initiative und des wirtschaftlichen Liberalismus, der aus seiner eigenen Dynamik, als Zivilgesellschaft, durch seine höchst eigene historische Entwicklung zum Regime der industriellen Konzentration und zum Monopol kommt.“ Der neue Staatstypus greift in die Wirtschaft ein „belehnt mit einer Schlüsselfunktion innerhalb des kapitalistischen Systems als Unternehmen (staatliche Holdinggesellschaft), der die Ersparnisse in seinen Händen konzentriert und der Industrie und dem Privatsektor zur Verfügung stellt, auch als mittelfristiger und langfristiger Investor.“

Gleichzeitig etabliert dieser Staat eine neue Art von Beziehung mit den subalternen Klassen: „Die Masse der Sparer will alle direkten Beziehungen mit dem privaten kapitalistischen System als solchem brechen, aber sie misstrauen dem Staat nicht: Sie will an der wirtschaftlichen Aktivität teilnehmen, allerdings durch den Staat, der ihnen zwar niedrige aber dafür sichere Zinsen garantiert.“ Daher „scheint es theoretisch so zu sein, dass der Staat seine soziale Basis im ”šgemeinen Volk‘ und in den Intellektuellen hat, in Wahrheit aber bleibt seine Struktur weiterhin plutokratisch.“

In diesem Sinn behauptet J.C. Portantiero, dass für Gramsci der Amerikanismus den ernsthaftesten Versuch darstellte, eine Gegentendenz zum Fall der Profitrate im imperialistischen Kapitalismus mittels neuer Produktionsmethoden zu schaffen, die auf der Gewinnung von relativem Mehrwert basiert: „Es ist ein Ausdruck der Krise und ihrer ”šÌberwindung’ mittels des Wachstums eines Systems, das sich immer ”šin der Krise’ entwickelt hat, innerhalb von ”šElementen, die im Gleichgewicht standen und sich immunisierten’. Gewiß ändert ”šder Amerikanismus’ nichts an ”šdem Charakter der grundlegenden sozialen Gruppen‘, aber es stellt die höchste kapitalistische Antwort auf die unüberwindbaren Widersprüche, die aus der Struktur entstehen. ”šDie herrschenden Klassen versuchen diese innerhalb gewisser Grenzen zu lösen und in gewissen Rahmen zu überwinden.’“[21] Das ist zwar richtig aber keineswegs alles. Bei Gramsci hängt der Amerikanismus als soziale Kategorie eng mit der politischen Kategorie der passiven Revolution, im Sinne einer Revolution-Restauration, quasi als einer reformistischen Anpassung des Kapitalismus, zusammen. Diesen Aspekt der Theorie Gramscis lassen die ReformistInnen bzw. diejenigen, die Gramsci im akademisch-bürgerlichen Sinn verstehen wollen, gerne beiseite. Der politische Inhalt seiner Position hat nichts mit denen gemein, die heute seine Analysen aufgreifen, um dem „Sozialstaat“ nachzuweinen, der von der neoliberalen Reaktion der ‘90er stark reduziert wurde. Sie fordern ein Programm der passiven Revolution, wie damals die „Moderados“, um zu den früheren Bedingungen zurückzukehren. Im Gegensatz zu seinen heutigen AnhängerInnen warnte Gramsci vor den Wiederanpassungen des Staates und der staatlichen Wirtschaftspolitik, da er in ihnen über kurz oder lang den Versuch einer reaktionären Antwort sah, deren Ziel es war, die Grundlagen für einen „neuen Konformismus“ zu schaffen. Dieser würde eine Vormachtstellung des Proletariats verhindern, die kommunistische Revolution aufhalten und die organische Krise der Bourgeoisie überwinden, eine Frage, die eine marxistische Führung verstehen und der sie entgegentreten musste.

Amerikanismus und Krieg

Kommen wir nun zu Trotzki.
Vor dem selben Problem des Aufstiegs Amerikas auf internationaler Ebene gestellt, schrieb er 1926: „In dem Artikel des Genossen Feldman haben die Ìberlegungen über den Kurs der Entwicklung der USA eine algorithmische Form angenommen. Er kam zu dem Schluss, dass die Entwicklung der USA höchstens in eine Sackgasse führe und dass der jetzige Aufschwung in keinem Verhältnis zu dem früherer Jahrzehnten stünde. Wenn das wahr ist, gibt es keine Rechtfertigung für die Annahme friedlicher Entwicklungsperspektiven für die Welt. Solange der Aufstieg der USA in den Zenit ohne Erschütterungen verläuft, wird dies Europa immer mehr in eine wirtschaftliche Sackgasse führen. Europa wird entweder dem römischen Imperium gleich untergehen oder eine revolutionäre Wiedergeburt erfahren. Aber zur Zeit kann man noch nicht über eine europäische Dekadenz sprechen. Wenn die Entwicklung der USA zum Stillstand kommt, werden ihre mächtigen Kräfte einen Ausweg im Krieg suchen. Dies wird ihre einzige Chance sein, die Deformationen zu überwinden, die sich aus den Umständen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ergeben. Diese Deformation bewegt sich wie das Auge [eines Hurrikans, A.d.R.]. Ein solches Auge voller unbändiger und aufgestauter Kraft könnte eine unheimliche Zerstörung innerhalb des Landes verursachen.

Betrachten wir nun die Lage des Proletariats. In England bleibt nichts von der aristokratischen Stellung des englischen Proletariats übrig. Unser brüderlicher Umgang mit den englischen Gewerkschaften [er bezieht sich auf das Anglo-Russische Komitee, A.d.R.] basiert auf dem wirtschaftlichen Niedergang Englands. Nun ist die Arbeiterklasse der USA in dieser privilegierten Stellung. Eine Verspätung der wirtschaftlichen Entwicklung brächte gewaltige Änderungen in der Beziehung der inneren Kräfte zueinander mit sich. Dies brächte auch eine revolutionäre Bewegung mit sich, die sich mit der für die USA charakteristischen Geschwindigkeit entwickeln würde. Diese beiden möglichen, für die USA entworfenen Szenarien lassen uns schwere Erschütterungen für die nächsten Jahrzehnte vorausahnen, und keinesfalls eine friedliche Perspektive. Kürzlich las ich in einem Artikel im Economist: ”šWir haben einen solchen Entwicklungsstand erreicht, dass wir einen großen Krieg brauchen.‘ So wie man fette Kälber für die Ernährung einer Großstadt braucht, verkündet der Economist, dass die USA, wie die Erfahrung des letzten Krieges gezeigt haben, wieder einen großen Krieg brauchen. Die US-Imperialisten haben eine Vorliebe, jedoch nicht für die friedliche Entwicklung.“[22]

Es ist bemerkenswert, dass diese Definitionen aus einer Zeit vor der katastrophalen Krise im Herzen der USA 1929 stammen, welche einen Scheideweg für die Weltlage darstellte. Trotzki warnte sogar im Voraus vor den ausgeprägten Tendenzen und innerimperialistischen Widersprüchen, die einerseits neue revolutionäre Möglichkeiten eröffneten und andererseits die Vorzeichen auf Krieg stellten. Jahre später, nach dem Zusammenbruch, stellt er – in einer Kritik am von der kommunistischen Internationale angenommenen Programm – auf dem Höhepunkt der Krise Amerikas eine beispielhafte dialektische Ìberlegung an, wie die folgende Äußerung vom September 1930 zeigt: „Molotov wollte sagen: Trotzki verherrlichte die Macht der USA und nun schaut hin, die USA erleben eine tiefe Krise. Schließt aber die Macht des Kapitalismus Krisen aus? Kannte England etwa im Zenit seiner wirtschaftlichen Stärke keine Krisen? Ist eine kapitalistische Entwicklung ohne Krisen vorstellbar? Dazu haben wir folgendes im Programmentwurf der Kommunistischen Internationale gesagt: Hier werden wir uns nicht speziell über Dauer und Tragweite der Krise in den USA auslassen. Es handelt sich nicht um ein programmatisches, sondern um ein konjunkturelles Problem. Es ist überflüssig zu sagen, dass wir eine Krise für unumgänglich halten. Ebenso wenig schließen wir angesichts der weltwirtschaftlichen Größe des US-Kapitalismus aus, dass die nächste Krise besonders tief und schwer sein kann. Es gibt nichts, was die Schlussfolgerung rechtfertigen würde, dass dies die US-Hegemonie eingrenzen oder schwächen würde. Eine solche Schlussfolgerung würde zu den gravierendsten strategischen Irrtümern verleiten. Ganz im Gegenteil, in einer Periode der Krise werden die USA ihre Hegemonie auf vollkommenere, unverschämtere und brutalere Art und Weise ausüben als in einer Aufschwungphase. Die USA werden versuchen, ihre Probleme und Schwierigkeiten auf Kosten Europas zu lösen.“[23]

Ab diesem Zeitpunkt lässt sich ein klarer Unterschied zwischen den Analysen Trotzkis aus den ‘20er Jahre und denen der ‘30er erkennen. Dies beruht darauf, dass das von der Dritten Internationale charakterisierte „instabile Gleichgewicht“ des Kapitalismus mit der Krise von ‘29 zerbrochen war und eine neue Phase beginnt. Es eröffnet sich eine neue „katastrophale Periode“ und mit ihr neue revolutionäre Möglichkeiten. Dies beweist auch die Spanische Revolution, die 1931 begann und sich über das ganze Jahrzehnt hinzog, und die mit Fabrikbesetzungen beginnende Revolution in Frankreich ab 1936. Beide Prozesse, die versuchten, „den Krieg zwischen imperialistischen Staaten durch Revolutionen von unten aufzuhalten“, scheiterten. Dieses Scheitern war jedoch, wie Trotzki erkannte, nicht auf eine schicksalhafte Vorbestimmung zurückzuführen, sondern auf die dem Kapitalismus helfende Rolle, die die Kommunistischen Parteien mit ihrer Politik der „Volksfront“ spielten, die mit dem Rechtsruck von 1935 auf dem VII. Kongress der stalinisierten Dritten Internationale angenommen wurde.

Trotzki erkannte jedoch selbst in der Periode der katastrophalen Krise die Möglichkeiten und die Macht des amerikanischen Imperialismus. Allerdings verwies er darauf, dass sich diese Ìberlegenheit dem „alten Kontinent“ nicht friedlich würde aufzwingen lassen. 1933 sagt er ausdrücklich, trotz der zunehmenden Stärke der USA gemäß dem Gesetz der Produktivität der Arbeit und ihrer technischen Ìberlegenheit, die sich im Fordismus ausdrückte: „Der alte Planet weigert sich, sich drehen zu lassen. Jeder schützt sich gegen jeden, indem er sich hinter einer Mauer aus Waren und einem Zaun aus Bajonetten verschanzt. Europa kauft keine Waren, bezahlt keine Schulden und bewaffnet sich auch noch. Das hungernde Japan bemächtigt sich mit fünf elenden Divisionen eines ganzen Landes. Die fortgeschrittenste Technik der Welt scheint plötzlich ohnmächtig vor den Hindernissen zu stehen, die sich auf ein niedrigeres technisches Niveau stützen. Das Gesetz der Produktivität der Arbeit scheint seine Gültigkeit zu verlieren, aber der Schein trügt. Das Grundgesetz der menschlichen Geschichte wird sich unweigerlich an den abgeleiteten und zweitrangigen Phänomenen rächen. Früher oder später wird sich der US-Kapitalismus über den ganzen Planeten ausbreiten. Mit welchen Methoden? Mit allen. Ein hoher Produktivitätskoeffizient bedeutet einen hohen Koeffizient an Destruktivkräften. Predige ich den Krieg? Auf keinen Fall, ich predige gar nichts. Ich versuche nur, die Weltlage zu analysieren und die Schlussfolgerungen aus der Mechanik der Ökonomie zu ziehen.“[24]

Trotzki erfasst den Sinn der Periode von Krisen, Kriegen und Revolutionen besser als Gramsci: Der Amerikanismus musste, um sich weltweit durchzusetzen, dies auf Kosten Europas tun. Dies würde zu einem neuen Weltkrieg führen. Trotz allem, was Gramsci zur marxistischen Wissenschaft in der Frage der modernen Staaten beigetragen hat, interpretiert Trotzki eine der Charakteristika dieser „fortgeschrittenen“ Staaten der imperialistischen Epoche viel folgerichtiger: Wie Lenin bereits aufzeigte, sind diese nicht nur ein Organ der Gewalt und der inneren Repression (dem Gramscis Analysen die Aspekte des Konsenses hinzufügte), sondern auch ein Instrument für den Krieg nach außen, als „Räuberstaat“[25]. Dies ist seine strukturelle Analyse in der Tradition der Dritten Internationale, auch wenn diese der Periode innewohnende Tendenz zwei politische Momente durchläuft: den des instabilen Gleichgewichts der ‘20er Jahre und dessen Zusammenbruch in den ‘30ern.

Gramsci glaubte indessen, dass die Möglichkeit eines Zyklus der passiven Revolutionen voraussetze, dass „der organische Kampf aufhöre, bzw. die katastrophale Phase“ innerhalb der Grenzen des imperialistischen Zeitalters „überwunden werden könne“[26]. Es stimmt, dass Gramsci feststellte, dass „passive Revolutionen“ immer „Revolutionen-Restaurationen“ waren, „bei denen nur der zweite Teil zählte“, und dass „die sogenannten Restaurationen, besonders die aktuellen [hervorgehoben von Gramsci] universell repressiv sind“. Jedoch ist das bestimmende Element in der Definition der passiven Revolution, dass diese versuche: „die Dialektik auf einen bloßen reformistischen Evolutionsprozess zu reduzieren.“

Trotzki dagegen analysiert die Epoche von der Logik aus, dass der Kapitalismus immer zu neuen Katastrophen führt. „Das Leben des Monopolkapitalismus ist eine Kette von Krisen. Jede Krise ist eine Katastrophe. Der Wunsch, diesen Katastrophen teilweise mit den Mitteln befestigter Grenzen, Inflation, Anwachsen der Staatsausgaben, Zoll, etc. zu entgehen, bereitet das Gebiet für neue, tiefere und ausgedehntere Krisen vor. Der Kampf um die Märkte, die Rohstoffe, um die Kolonien, macht die militärische Katastrophe unvermeidlich. Dies alles bereitet unausweichlich revolutionäre Katastrophen vor. Es ist wahrhaft nicht leicht, mit Sombart gelten zu lassen, daß der Kapitalismus mit der Zeit mehr und mehr ”šstill, ruhig, vernünftig‘ wird. Es wird richtiger sein zu sagen, dass er auf dem Weg ist, seine letzten Spuren von Vernunft zu verlieren. Auf alle Fälle gibt es keinen Zweifel, daß die Zusammenbruchstheorie über die Theorie der friedlichen Entwicklung triumphiert hat.“[27]

Klar also, dass für ihn die „katastrophale Phase“ nicht auf die wirtschaftliche Krise beschränkt ist. Seine „Theorie des Zusammenbruchs“ wird nicht nur als wirtschaftlicher Katastrophismus verstanden, sondern als eine Verkettung aus wirtschaftlichen, militärischen und revolutionären Katastrophen, d.h. eine Verbindung von Krisen, Staatspolitik (Hegemonie) und Klassenkampf. Die selben drei Elemente, die man, nach seiner Methode, verbinden musste, um das „instabile Gleichgewicht“ zu definieren, sind diejenigen, welche jetzt dieses Gleichgewicht zerstört haben. Noch einmal: Er benutzt ein und das selbe methodologische Kriterium für die Interpretation der ‘20er und der ‘30er Jahre, obwohl die Vorzeichen der Situation sich verändert haben.

Und Gramsci? Um es mit den Worten eines intellektuellen Gramsci-Anhängers zu sagen: „Alles in allem zeichnen sich deutlich zwei Elemente ab: a) am Ende des Jahrhunderts, das Eric Hobsbawm ”šThe Age of Extremes‘ nannte, müssen wir besonders die Wichtigkeit der Tatsache herausstellen, dass Gramsci der Radikalisierung-Simplifizierung der intellektuellen Dichotmie Kommunismus-Faschismus oder Faschismus-Antifaschismus der ‘30er Jahre entgeht (und über sie hinaus geht), und b) ein Bild der Zukunft des Kapitalismus (…) vorhersieht, wie er sich nach dem zweiten Weltkrieg unter der neuen Hegemonie der USA entwickelt. Er sieht weder die tragische Größe des Nationalsozialismus, noch den zweiten Weltkrieg, noch Auschwitz oder die Auswüchse des Stalinismus vorher: paradoxerweise sieht er aus dem Gefängnis in Turi „strukturelle“ Züge unseres Jahrhunderts ohne sich wie so viele berühmte Beobachter blenden zu lassen.“[28]

In diesem äußerst bewegten Interregnum der weltweiten Hegemonie–Krise erreichte Gramsci nicht die Höhe oder Klarheit von Trotzkis strategischen Prognosen, der klar erkannte, dass die lösung der Hegemonie-Krise durch einen neuen Weltkrieg und durch das Ergebnis der Klassenkämpfe kommen würde, die dieser Krieg quasi als „Hebamme der Revolutionen“ hervorrufen würde. Und er formulierte von dieser strategischen Einschätzung ausgehend das Programm und gründete den Kern einer internationalen Organisation. Er basierte seine Einschätzung nicht nur auf einer allgemeinen Theorie, sondern auch auf den Lektionen der Feuerproben dieser Theorie im Klassenkampf im Kontrast zu der internationalen Politik der von Stalin geführten KI. Diese Lektionen reichten von den Erfahrungen des Anglo-Russischen Komitees, über die Alternativen in der Chinesischen Revolution, die kampflose Kapitulation der deutschen KP vor der Machtergreifung Hitlers, das marxistische Programm und die Taktik für die spanische Revolution, die Anklage von deren VerräterInnen und die Abgrenzung von den KapituliererInnen, die Verurteilung der Volksfront–Politik und die Charakterisierung des Phänomens des Stalinismus und der Degeneration der UdSSR. Diese führten zur Gründung der Internationalen Linksopposition und dann zur Gründung der Vierten Internationale, die – so hoffte Trotzki – eine Führungsrolle in den kommenden Ereignissen übernehmen sollte.

Zum Verständnis der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Wir glauben, dass das Konzept der „passiven Revolution“ – losgelöst von jedem Gradualismus zur Unzeit bezüglich der Möglichkeiten der Erneuerung des Kapitalismus, den es in den Schriften Gramscis gibt – äußerst nützlich ist, um die Nachkriegszeit zu erklären. Wir sprechen von „Gradualismus zur Unzeit“, da die uneingeschränkte Vormachtstellung der USA nur durchgesetzt werden konnte durch den Krieg und die unvorstellbare Vernichtung von Produktivkräften in Europa, die dieser mit sich brachte, und dadurch, dass die beiden Hauptkonkurrenten der USA – Deutschland und Japan – geschlagen waren, und in Verbindung mit dem widersprüchlichen Ergebnis des Klassenkampfes nach dem Aufruhr der Massen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dies führte zu einer Ausbreitung des Fordismus in Europa. Letztendlich sah Gramsci nicht, dass nach seinen eigenen Definitionen die USA zuerst zu einer „gewaltsamen“ lösung kommen mussten, um hinterher einen neuen „Konsens“ zu erzielen. Wir sehen jedoch, dass der US-Imperialismus sich eines zusätzlichen Hilfsmittels bediente, um die Vormachtstellung zu erreichen: die Rolle des Stalinismus, ohne den weder der Aufstand der Massen in Europa hätte gebremst noch eine Stabilisierung der wichtigsten kapitalistischen länder hätte erreicht werden können[29].

Erst nachdem diese weltweit katastrophale Phase durch die Abkommen von Jalta und Potsdam, zwischen dem siegreichen Kapitalismus und der sowjetischen Bürokratie, einmal überwunden ist, erlaubt das Konzept der passiven Revolution, das neue Weltszenarium besser zu erfassen.

Wir glauben, dass mindestens zwei Komponenten der passiven Revolution sich bestätigen. Einerseits der „Keynesianimus“ in den kapitalistischen ländern, d.h. der „new deal“ als Staatsräson, dessen essentielle Züge, was die Beziehung zwischen dem Staat, der Wirtschaft und den Massen angeht, Gramsci, wie wir gesehen haben, schon vor dem Krieg vorhergesehen hatte. Anderseits die umstrittenen Revolutionen in Osteuropa zwischen ‘43 und ‘48, die auf der Grundlage einer Besatzung durch die Rote Armee in den Gebieten, aus denen die Nazis vertrieben wurden, durchgeführt wurden. Diese fanden in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und sogar in Ostdeutschland statt und könnten auch als passive proletarische Revolutionen[30] bezeichnet werden.

Wenn es, wie Gramsci das Risorgimento analysierte, in „Italien keine Barrikaden gab wie im Paris von 1848“, weil sie durch ein System der Rekrutierung zum piemontesischen regulären Heer ersetzt worden waren; so spielte der Stalinismus eine analoge Rolle in der Ära der proletarischen Revolutionen. Was tat er anderes als die Möglichkeit der Entstehung von Sowjets wie in den Jahren 1917-19 zu unterdrücken und diese durch den Vormarsch der Roten Armee im Osten zu ersetzen? War nicht die Rolle Stalins in den Abkommen von Jalta und Potsdam, in denen er die Kontrolle der UdSSR über Osteuropa etablierte, vergleichbar mit dem Konzept der Diplomatisierung der Revolution, wie Gramsci den Prozess der Vereinigung Italiens beschreibt? Gab der Stalinismus durch seine Nutzung großer Teile des bürgerlichen BeamtenInnentums aus der Vorkriegszeit in den deformierten ArbeiterInnenstaaten der „Revolution“ nicht einen Anstrich von „Restauration“? War nicht die Umstellung der Produktionsbeziehungen vom Kapitalismus auf Planwirtschaft eine progressive Aufgabe, die auf reaktionäre Weise die Entstehung von Sowjets als Organe der Selbstverwaltung der Massen blockierte? War die neue Rolle der KPen und der von ihnen oder der Sozialdemokratie gelenkten Gewerkschaften, die alles in den kapitalistischen Wiederaufbau Europas setzten, etwa kein „Transformismus“? Waren die Charakteristiken des „Wohlfahrtsstaats“, die in den zentralen ländern und sogar in einigen halbkolonialen ländern eingeführt wurden, etwa nicht der neue Typ kapitalistischer Staaten, den Gramsci vorhergesehen hatte?

Wir glauben: ja. In ihren groben Zügen sind die neuen und widersprüchlichen Phänomene der Nachkriegszeit Teil einer großen passiven Revolution, die „mit reformistischen Konzessionen zur Neutralisierung der subalternen Klassen“ eine Antwort auf den Aufstieg der ArbeiterInnen und der Massen in der außergewöhnlichen Zeit zwischen ‘43 und ‘49 geben wollte.

Ein dritter Versuch der passiven Revolution – wenn auch in seinen Auswirkungen eher gescheitert als erfolgreich – war der Versuch der Dekolonialisierung von oben. Dabei versuchten die ImperialistInnen in der Nachkriegszeit, einigen Kolonien eine Art „moderneren“ halbkolonialen Status zu verleihen, um die antikoloniale Revolution aufzuhalten. Allerdings findet sich entgegen ihrer Pläne genau dort, in der kapitalistischen Peripherie, der stärkste Ausdruck der aktiven Revolution: eine regelrechte Explosion der unterdrückten Massen der Kolonien und Halbkolonien. Und dies muss Teil der Perspektiven der Vierten Internationale sein und beweist die Richtigkeit der Theorie der permanenten Revolution, die diesen ländern besondere Aufmerksamkeit widmete: Das Proletariat und die Massen der kolonialen und halbkolonialen länder sollten nicht die Revolution in den imperialistischen Metropolen abwarten, sondern mit ihrer Revolution beginnen und könnten sogar schon vorher zur Diktatur des Proletariats kommen.

Selbst mit den Zugeständnissen, die der ArbeiterInnenklasse in den zentralen ländern gemacht wurden, beweist der Auftrieb der antikolonialen Revolutionen der Nachkriegszeit (und die Unmöglichkeit, sie durch eine effektive passive Revolution zu bremsen) den Charakter der imperialistischen Epoche, auf dem Trotzki bestanden hatte: „Die imperialistischen Klassen konnten den kolonialen Völkern wie ihren eigenen Arbeitern nur so lange Zugeständnisse machen, wie es mit dem Kapitalismus aufwärts ging, solange die Ausbeuter fest mit wachsenden Profiten rechnen konnten. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Der Weltimperialismus befindet sich im Niedergang. Die Lage aller imperialistischen Nationen wird täglich schwieriger, während sich die Widersprüche zwischen ihnen mehr und mehr verschärfen. Ungeheure Aufrüstungen verschlingen einen immer größeren Teil des Volkseinkommens. Die Imperialisten können weder ihren eigenen arbeitenden Massen noch den Kolonien ernste Zugeständnisse machen. Im Gegenteil, sie müssen zu einer immer bestialischeren Ausbeutung ihre Zuflucht nehmen. Gerade darin kommt der Todeskampf des Kapitalismus zum Ausdruck.“[31]

Auch wenn es, wie wir oben gesagt haben, Konzessionen an die ArbeiterInnenklasse der zentralen länder als Subprodukt ihrer revolutionären Aktivitäten gab, nach dem Motto „etwas nachgeben, um nicht alles zu verlieren“, bewahrheitete sich die Vorhersage der Vierten Internationale vollkommen für die länder, welche vom Imperialismus beherrscht wurden.

Die enormen Impulse der halbkolonialen Massen bestätigten die strategische Perspektive Trotzkis und erstreckten sich weit über die außergewöhnlichen Zeit zwischen ‘43 und ‘49 hinaus durch die gesamte Periode der Ordnung von Jalta hindurch, in der sie der revolutionärste Faktor des internationalen Klassenkampfes waren. Wie wir später noch analysieren werden, verhinderte die Stärkung des weltweiten stalinistischen Apparats, dass dies nennenswerten Einfluss auf die imperialistischen Zentren hatte und die Revolution zu ihnen hinüberschwappen könnte. Der Stalinismus schöpfte sogar alle seine Möglichkeiten aus, um die „nationalen Befreiungsprozesse“ der Kolonien auf der Ebene der bürgerlichen Regime festzuhalten.

Grundlage dessen war ein neuartiger politischer Ìberbau nach dem Zweiten Weltkrieg, den weder die Prognosen Trotzkis und noch weniger die Gramscis vorhergesehen hatten, der aber seinen Ausgang bestimmte: die neue Rolle des Stalinismus als Faktor der weltweiten Eindämmung der Revolution.

Trotzki setzte darauf, dass der internationale revolutionäre Prozess, den der Krieg auslösen würde – was sich in den Jahren ‘43 und ‘49 in großem Stil ereignete –, seinerseits zum Sturz der Sowjetbürokratie führen und so eine revolutionäre Regeneration der UdSSR ermöglichen würde. Dies ist allerdings nicht eingetreten. Ganz im Gegenteil: Mit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs verfestigte sich die bürokratische Kaste nicht nur in der UdSSR, sondern in einem gesamten System von deformierten ArbeiterInnenstaaten in Osteuropa. Der ArbeiterInnenklasse und den Massen gelang es – wie 1914-18 – nicht nur, die Niederlage, die das imperialistische Gemetzel erst mal bedeutete, zu überwinden, sondern sie vollbrachten auch einen gigantischen Aufschwung mit dem bewaffneten Widerstand gegen den Faschismus. Dieser war besonders bedeutsam, da er in zentralen kapitalistischen ländern wie Italien, Griechenland und Frankreich stattfand. Widersprüchlicherweise brach der Stalinismus, der durch die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad an Prestige gewonnen hatte, nicht nur unter diesem Ansturm der Massen nicht zusammen, es gelang ihm sogar, die besagten Prozesse zu bremsen, die ArbeiterInnenklasse zu bändigen und ihre Organisationen in den Dienst der kapitalistischen („amerikanistischen“) Rekonstruktion Europas zu stellen.

Abgesehen davon, dass Trotzki mit seiner politischen Prognose falsch lag, war er es jedoch, der sowohl durch das Studium der materiellen Grundlagen und der Natur des Phänomens Stalinismus und der Degeneration der russischen Revolution[32], als auch durch die politischen Schlachten vor dem Zweiten Weltkrieg die Voraussetzungen zu dessen Bekämpfung schaffte. Davon war Gramsci weit entfernt. Trotzki war der einzige Marxist, der ein Programm für eine neue Art von Revolution, die „politische Revolution“, für einen degenerierten ArbeiterInnenstaat formulierte. Darin findet sich ein ganzes System von spezifischen Ìbergangsforderungen, die darauf abzielen, auf der Basis der Beibehaltung der Errungenschaften der verstaatlichten Wirtschaft, die parasitäre Kaste abzuschaffen, die effektive Macht der Sowjets wiederherzustellen und den Weg des Ìbergangs zum Sozialismus wieder in Gang zu bringen, indem die revolutionäre Politik des ArbeiterInnenstaates sowohl im Inneren als auch auf internationaler Ebene wieder auf ihre Füße gestellt werden sollte. Und zweitens warnte Trotzki – obwohl er das Ausmaß der Klassenkollaboration auf weltweiter Ebene zwischen der sowjetischen Bürokratie und dem Imperialismus aufgrund der Abkommen von Jalta nicht vorhersehen konnte – bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen seines politischen Feldzugs gegen die „Volksfront“-Orientierung der Kommunistische Internationale seit 1935, die in Spanien und Frankreich mit all ihren verhängnisvollen Konsequenzen in die Praxis umgesetzt wurde, davor, dass dem Kampf des Proletariats um seine Klassenunabhängigkeit (welcher seit dem Kommunistischen Manifest marxistische Maxime ist, wie es auch das Ìbergangsprogramm festhielt) durch die Existenz des Stalinismus ein „weiteres Hindernis“ in den Weg gestellt worden sei. Gramsci dagegen, der so ausführlichen Gebrauch vom Konzept des „Transformismus“ in seiner Analyse der bürgerlichen Revolution machte, entging jedoch der krasseste transformistische Prozess der proletarischen Revolution: das Aufkommen der Sowjetbürokratie.

Die Blockade der permanenten Dynamik der Revolution

„Die wirtschaftliche Voraussetzung der proletarischen Revolution ist schon seit langem am höchsten Punkt angelangt, der unter dem Kapitalismus erreicht werden kann. Die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren. (…) Die objektiven Voraussetzungen der proletarischen Revolution sind nicht nur schon ”šreif‘, sie haben sogar bereits begonnen zu verfaulen. Ohne sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht die ganze menschliche Kultur in einer Katastrophe unterzugehen. Alles hängt ab vom Proletariat, d.h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.“[33]

Diese historisch gesehen korrekte Aussage, mit der das von der Vierten Internationale 1938 verabschiedete Ìbergangsprogramm anfängt, musste nach 1948 teilweise überarbeitet werden, wie wir leicht sehen können: Wir gehen davon aus, dass es durch eine Reihe von neuen objektiven und subjektiven Bedingungen zu einer Blockade der permanenten Dynamik der Revolution kam. Es handelte sich damals darum, das Konzept der „Krise der revolutionären Führung“ zu bereichern, womit eine bestimmte Art von „Trotzkismus“ Reduktionismus betrieben hat. Die Krise der revolutionären Führung und vor allem die Politik, durch die sie überwunden werden sollte, war in der Nachkriegszeit nicht dieselbe wie in den ‘30er Jahren (in denen sich Revolution und Konterrevolution offen bekämpften). Der Ausgang des Krieges und der Aufschwung, der ihm folgte, institutionalisierte neue materielle Errungenschaften für das Proletariat, angefangen von den reformistischen Zugeständnissen in den fortschrittlichen kapitalistischen ländern bis hin zur Gründung neuer Staaten, in denen das Kapital enteignet wurde. Der Preis dafür war die Festigung der konterrevolutionären Führungen. Dies bedeutete für die AnhängerInnen der Vierten Internationale, dass sie dieses Problem in der „Welt von Jalta“ neu untersuchen, einen neuen strategischen Rahmen festlegen und einige programmatische Anpassungen vornehmen mussten.

a)Man musste das Ausmaß des partiellen Wachstums der Produktivkräfte feststellen. Auf diesem Gebiet teilte sich der Trotzkismus in zwei große Strömungen, die beide falsch lagen. Auf der einen Seite die, die wie das Internationale Komitee unter der Führung von Pierre Lambert die These der Stagnation vertraten. Zu diesen zählen auch die Strömungen von Nahuel Moreno in Argentinien und Von Guillermo Lora[34] in Bolivien. „Die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren“ wiederholten sie buchstabengetreu aus dem Ìbergangsprogramm, ohne zu sehen, dass die gewaltige Zerstörung von Produktivkräften infolge des Zweiten Weltkriegs und der kapitalistische Wiederaufbau Europas die konzentrierte und abrupte Anwendung der neuesten amerikanischen Technik ermöglichten und gleichzeitig eine schnelle Nachfrage für Konsumgüter generierten. Dies stellte zwar nur eine beschränkte, partielle, vorübergehende Negation dar, aber es änderte das, was vor dem Zweiten Weltkrieg eine feste Gegebenheit war. Das Fortdauern der imperialistischen Epoche, d.h. der Phase des Niedergangs des Kapitalismus, war nicht gleichbedeutend mit der Stagnation der Produktivkräfte, die während der Zeit von ‘48 bis ‘68 eine partielle Entwicklung erfuhren. Dem Standpunkt der „StagnationistInnen“ entgegengesetzt war die Interpretation des Vereinigten Sekretariats (VS), die sich auf die Theorie Ernest Mandels stützte, welcher diese partielle Entwicklung der Produktivkräfte während des „Booms“ als Zeichen der Entstehung eines Neokapitalismus oder „Spätkapitalismus“ interpretierte und eine korrigierte Version der bürgerlichen Theorie der kapitalistischen Krisen vertrat, nach der diese angeblich in „Wellen“ bzw. in einem automatischen Wachstums- und Schrumpfungszyklus messbar sind und in der der Klassenkampf eine vollkommen untergeordnete Rolle spielt.

b)Dieses partielle Wachstum der Produktivkräfte in den zentralen ländern, zusammen mit dem zwischen Kapital und Arbeit ausgehandelten keynesianistischen Modell des „Wohlfahrtsstaats“, war die materielle Grundlage für die Bildung eines neuen Reformismus, der sich auf eine ausgedehntere und verbreiterte soziale Schicht der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen ländern stützte. Die europäische Sozialdemokratie befand sich in den ‘30er Jahren im Kreuzfeuer zwischen dem Faschismus, der ihre gewohnten parlamentaristischen Spielchen unterband, und Sektoren des Proletariats, die durch revolutionäre Situationen in verschiedenen ländern radikalisierte Elemente in ihren Reihen hervorbrachte[35]. Die Sozialdemokratie fand sich in der Nachkriegszeit angesichts einer neuen kapitalistischen Stabilität an der Spitze der Massengewerkschaften wieder, die von den neuen Errungenschaften des „Wohlfahrtsstaats“ profitierten. Der Stalinismus konnte sich auf eine breitere Massenbasis stützen, um seine Kontrolle über die ArbeiterInnenbewegung auszudehnen, und zwar nicht nur in den kapitalistischen ländern, sondern auch in den neuen deformierten ArbeiterInnenstaaten Osteuropas. Diese erreichten auf Grund des kapitalistischen Booms eine gewisse wirtschaftliche Autarkie; auch bedeutete die Verstaatlichung der Wirtschaft an sich schon einen Anschub für die industrielle Entwicklung in einigen dieser länder, die vorher weitgehend landwirtschaftlich organisiert waren. Dies führte automatisch zu einem deutlichen Anstieg des Lebensstandards der Massen. Alles in allem entstand also als Nebenprodukt des Kriegsausgangs eine neue ArbeiterInnenbewegung mit neuen wirtschaftlichen Errungenschaften, die die Grundlagen für einen neuen Massenreformismus schafften (einen „neuen Konformismus“ hätte Gramsci es genannt), der gleichzeitig eine Stärkung der stalinistischen und sozialdemokratischen Führungen bedeutete.

c)Mit der Proklamation des Stalinismus als „offiziellem Marxismus“ kam es zu einem historischen Bruch in der Kontinuität des revolutionären Marxismus, die sich trotz aller unterschiedlichen Strömungen und internen Kämpfe durch die ersten drei Internationalen bis hin zur Vierten, von Marx’ und Engels’ „Kommunistischem Manifest“ von 1848 bis hin zu Trotzkis „Manifest gegen den Krieg“ von 1940, erhalten hatte. Auch wenn Trotzki bereits im Ìbergangsprogramm darauf hinwies, dass der Stalinismus sich in ein „zusätzliches Hindernis“ für das Proletariat verwandelt hatte, sah er nicht, zu welchen Auswüchsen sich diese Verwandlung nach dem Zweiten Weltkrieg verstieg. Die TrotzkistInnen mussten bestimmen, welche Gefahren dies mit sich brachte. Man musste Trotzkis Warnung von vor dem Krieg selbst für die Kräfte der Vierten Internationale im Kopf behalten: Wenn das Proletariat keine revolutionäre Antwort auf den Krieg gäbe (und es gab keine bzw. nur in einer äußerst deformierten Art und Weise), liefen alle ArbeiterInnenparteien, auch die noch so revolutionären, Gefahr zu degenerieren. „Nichtssagende Skeptiker erfreuen sich daran, die Degeneration des bolschewistischen Zentralismus zum Bürokratismus anzuführen. Als wenn der ganze Verlauf der Geschichte von der Struktur einer Partei abhinge. Es ist eine Tatsache, dass das Schicksal einer Partei vom Verlauf des Klassenkampfs abhängt. Auf jeden Fall war die bolschewistische Partei die einzige Partei, die durch Taten ihre Fähigkeit bewies, die proletarische Revolution durchzuführen. Genauso eine Partei braucht jetzt das internationale Proletariat. Wenn das bürgerliche Regime straffrei aus dem Krieg hervorgeht, wird die revolutionäre Partei eine Degeneration erfahren. Wenn die proletarische Revolution siegt, werden die Bedingungen, die eine Degeneration hervorrufen, verschwinden.“[36] Im Widerspruch zu dieser alternativen Prognose gab es länder, unter ihnen China und die Hälfte Deutschlands, in denen das bürgerliche Regime nach dem Krieg unterging. Dafür kam es in den Hauptzentren der imperialistischen Macht „ungestraft“ davon. Durch dieses perverse Ergebnis fand sich der Stalinismus an der Spitze eines „transformistischen Prozesses“ großen Ausmaßes wieder: Die Kommunistischen Parteien verwandelten sich in WiederaufbauerInnen des Kapitalismus und des bürgerlichen Regimes im Westen, während sie zur gleichen Zeit passive Revolutionen durchführten, die ihnen erlaubten, den neu erlangten internationalen Status Quo mit dem US-Imperialismus zu sichern. Diese subjektiv schlechten Bedingungen führten dazu, dass die Kräfte der Vierten Internationale zum großen Teil auf die Tätigkeit von Propagandagruppen unter Bedingungen der Isolation beschränkt waren.

d)Es kam somit zu einer Blockade der permanenten Dynamik der Revolution. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Metropolen, den Halbkolonien und der alten Vorkriegs-Sowjetunion, so wie sie in der Theorie der permanenten Revolution und im Ìbergangsprogramm beschrieben waren, waren eine wertvolle Algebra des Marxismus, der man allerdings zur Orientierung der revolutionären Praxis einige neue konkrete Werte geben musste. Nach den Abkommen von Jalta waren die „schwachen Glieder der Kette“ im internationalen Staatengefüge zu größten Teilen die Kolonien und Halbkolonien in Asien und Afrika, deren imperiale Zentren wie z.B. England und Frankreich gegenüber dem neuen Herrn der Welt, den USA, ständig an Boden verloren. Der Kapitalismus stabilisierte sich in den zentralen kapitalistischen ländern und die revolutionären Tendenzen verlagerten sich immer mehr in die halbkoloniale Peripherie. Zur gleichen Zeit nutzte der Moskauer Apparat sein Prestige und vor allem die materiellen Kräfte der neuen Staaten, um die Massenaufstände in den Kolonien umzuleiten, einzufrieren, zu erpressen und immer weiter zu verderben, indem er die Führungen der Prozesse der „nationalen Befreiung“ kooptierte. Jeder Sieg, den die kolonialen Massen bei der Eroberung ihrer politischen Unabhängigkeit als Nationalstaat errangen, wurde in seinem bürgerlich-demokratischen Stadium eingefroren, anstatt ihn auszunutzen, um zur Entstehung eines ArbeiterInnenstaates voranzuschreiten. Und als einige Revolutionen dieser Logik entkamen, wie es zum Beispiel auf Kuba der Fall war, und ein neuer Staat entstand, in dem das Kapital enteignet wurde, wurde dies früher oder später vom Stalinismus zur Paktierung mit dem Imperialismus genutzt, d.h. um die internationale Revolution zu bremsen, anstatt sie voranzutreiben[37]. Die revolutionären Kräfte mussten daher die Verbindungen zwischen den Metropolen und den Halbkolonien wiederherstellen und erneuern sowie die Charakterisierung der neuen deformierten ArbeiterInnenstaaten, die in das Welt-Staatengefüge (Hegemonie) integriert wurden, in ihre Analysen einbinden. Diese Definition war deswegen notwendig, damit die trotzkistischen Strömungen, die eine wichtige Rolle bei den Prozessen in den halbkolonialen ländern wie in Algerien, Ceylon, Vietnam, Bolivien oder Argentinien spielten, nicht in eine „Dritte Welt“-Ausrichtung verfallen würden, wie es einige Sektoren der trotzkistischen Bewegung taten, oder sich den von den sozialdemokratischen oder stalinistischen Führungen vorgegebenen Bedingungen anpassen würde, oder auch beides gleichzeitig machen würden, sondern damit sie eine Verbindung zwischen der politischen Arbeit in den halbkolonialen und den zentralen ländern herstellen könnten, um durch diesen proletarischen Internationalismus Fraktionen in den Gewerkschaften und in den Massenparteien der imperialistischen länder zu bilden.

e)In der neuen Definition der marxistischen Strategie musste man außerdem eine besondere Betonung auf das Programm der politischen Revolution in den deformierten ArbeiterInnenstaaten und der UdSSR legen. Dies war entscheidend, um eine Antwort auf einen anderen Prozess zu geben, der die weltweite Hegemonie in Frage stellte, und der sich bereits ‘53 in Ostdeutschland, später ‘56 in Ungarn und ‘68 auf dem Höhepunkt des Endes des Booms in der Tschechoslowakei zeigte. In diesen ArbeiterInnenstaaten, die aus von oben eingeleiteten passiven Revolutionen (durch die Besetzung durch die Rote Armee) hervorgegangen waren, kam es zu Rissen in der „Weltordnung“. Hier zeigte sich zum ersten Mal die Unzufriedenheit mit der russischen nationalen Unterdrückung, die sich ‘89-‘90 im großen Stil in der labyrinthischen Form „nationaler Konflikte“ manifestierte, selbst innerhalb der Nationalitäten der Sowjetunion und Jugoslawiens mit nationalistischen, antiproletarischen Führungen. In Bezug darauf verwarf die große Mehrheit des Trotzkismus die programmatischen Leitlinien, die Trotzki hinterlassen hatte (wie z.B. die Forderung nach einer „unabhängigen Sowjet-Ukraine“, die er in den ‘30er Jahren sowohl der großrussischen Unterdrückung als auch dem imperialistischen Projekt Hitlers gegenüber stellte), nachdem sie jahrzehntelang, mehr oder weniger aktiv, davon ausgegangen war, dass der Stalinismus die „nationale Frage“ in den ArbeiterInnenstaaten gelöst habe.

Keine oder nur sehr wenige der Fragen, die wir hier skizzieren, hat sich der „real existierende“ Trotzkismus jemals gestellt. Wir beschreiben diese Degeneration der Vierten Internationale nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ausdruck „Jalta-Trotzkismus“: Ein Trotzkismus, der es versäumte, einen neuen strategischen Rahmen zu erstellen, und der sich infolgedessen an die von der sowjetischen Bürokratie und dem Imperialismus vorgegebenen Bedingungen anpasste. Hier haben wir einige Elemente präzisiert, die wir in früheren Arbeiten erwähnt hatten, um eine Diskussion zu eröffnen, die es erlaubt, diese Definitionen zu präzisieren, um das bewegte vergangene Jahrhundert zu analysieren und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Wir haben die Konzepte der „passiven Revolution“ und des „Transformismus“ von Gramsci mit in die Erklärung der Blockade der Mechanismen der Revolution in der Nachkriegszeit einbezogen (wenn auch sicherlich neu interpretiert im Lichte von Trotzkis Prognosen über den Zweiten Weltkrieg und seiner Analysen des Stalinismus). Wir vertreten die Auffassung, dass diejenigen, die unter den Bedingungen von Jalta weiterhin derart allgemein und abstrakt behaupteten, dass „die Krise der Menschheit die Krise ihrer revolutionären Führung ist“, sodass kein/e „orthodoxe/r“ Trotzkist/in dem widersprechen konnte, dieselben waren, die in General Tito, Fidel Castro oder anderen Guerrillas oder bürgerlich-nationalistischen Führungen die lösung des Problems sahen. Sie bezeichneten diese entweder als „revolutionäre Führungen“ oder empfahlen zumindest, diese als „kleineres Ìbel“ zu unterstützen.

Wir wollen hier keine Aufzählung der Kapitulationen des Trotzkismus der Nachkriegszeit vornehmen[38]. Wir glauben nicht, dass sie durch die objektiven Bedingungen gerechtfertigt waren, obwohl aus allem, was in dieser Arbeit gesagt wird, klar hervorgeht, dass wir nicht der voluntaristischen und subjektivistischen These anhängen, dass die zerstreuten und schwachen Kräfte der Vierten Internationale nach Trotzki etwas hätten tun können, um die Weltkarte im Gefüge von Jalta substantiell zu verändern. Aber wir lehnen jegliche fatalistische Einschätzung der Möglichkeiten des revolutionären Marxismus ab, selbst in den schwierigsten Jahren, in denen er gegen die vereinten Kräfte von Imperialismus und Stalinismus kämpfen musste. Als Beispiel hierfür mag die proletarische Revolution in Bolivien von 1952 dienen, in der die POR von Guillermo Lora vor der bürgerlich-nationalistischen MNR kapitulierte, aufgrund der Hoffnungen, die sie in deren linken Flügel setzte. Diese war eine nicht zu unterschätzende, verlorene Chance für den internationalen Trotzkismus. Denn obwohl es sich um eine Revolution in einem kleinen, halbkolonialen Land unter den zuvor erläuterten Bedingungen handelte, hätte eine erfolgreiche Intervention einen Sprung in der subjektiven Entwicklung der Vierten Internationale bedeutet, die in den Augen der weltweiten Avantgarde gestärkt daraus hervorgegangen wäre. Diese Avantgarde war damals hauptsächlich vom Maoismus oder vom Titoismus, die eine führende Rolle in Revolutionen gespielt hatten, oder von bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Führungen von „nationalen Befreiungsbewegungen“ beeinflusst.

Angesichts der ersten substantiellen Veränderung der Bedingungen von Jalta, die mit dem weltweiten Aufschwung von 1968 begann, der von der kapitalistischen Krise ausgelöst wurde, die damals ihren Anfang nahm und dessen Effekte bis heute nachwirken, machte die Mehrheit der sich trotzkistisch nennenden Strömungen einfach weiter wie bisher, ohne aus dem Schatten der nicht-revolutionären Führungen hervorzutreten.

Perry Anderson sagt dazu: „Man muss sagen, dass die alternative Tradition des revolutionären Marxismus sich trotz ihrer charakteristischerweise viel größeren Scharfsinnigkeit und ihrer Betonung der Strategie (…) sich auch nicht viel fruchtbarer als ihre historischen Gegner zeigte. Als ich das Buch ”šÌber den westlichen Marxismus‘ schrieb, schien die vom Erbe Trotzkis geprägte Bewegung nach Jahrzehnten der Marginalisierung bereit, die Bühne der post-stalinistischen Massenpolitik der Linken in den fortgeschrittenen kapitalistischen ländern wieder zu betreten. Stets sehr viel näher an den prinzipiellen Fragen der sozialistischen Praxis, sowohl auf politischer als auch wirtschaftlicher Ebene, als die philosophische Linie des westlichen Marxismus, hatte das theoretische Erbe der trotzkistischen Tradition offensichtliche Vorteile in der neuen Konjunktur der Massenaufstände und der weltweiten Depression, die die Anfänge der ‘70er kennzeichnete. (…) Die Geschichte bot der Bewegung in jenen Jahren eine entscheidende Möglichkeit, aber diese hat die Probe nicht bestanden. Der Sturz des portugiesischen Faschismus bot die besten Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution in irgendeinem europäischen Land seit der Kapitulation des Winterpalastes (…). Die Vierte Internationale verlor sich am Scheideweg der Portugiesischen Revolution.“[39]

War, wie Anderson meint, der „klassische Prozess“ der Revolution ‘74-‘75 in Portugal, einem schwachen Glied der Kette der imperialistischen länder, die den antikolonialen Aufstand in Angola und Mosambik (angesteckt vom Kampf des vietnamesischen Volkes) mit einer Rebellion der ArbeiterInnen und der Massen gegen die Diktatur Salazars verband, die letzte große Möglichkeit für den Trotzkismus, seine strategischen Grundlagen wiederherzustellen? Oder bot die Geschichte eine weitere große Möglichkeit mit dem letzten großen Versuch einer „politischen Revolution“ in Polen 1980, der der Vierte Internationale ermöglicht hätte, als große Kraft in Erscheinung zu treten und den Prozessen von ‘89-‘91 in Osteuropa, der UdSSR und China vorzugreifen? Wie dem auch sei, zeigte das Verhalten des Trotzkismus in vorherigen Jahren sehr wenig Kontinuität mit den von der Vierten Internationale bei ihrer Gründung aufgestellten Maximen. Dies hat verstärkt dazu beigetragen, die sich in der neuen Periode des Aufschwungs des internationalen Klassenkampfes (‘68-‘80) bietenden Möglichkeiten zu verschwenden, bei denen der Stalinismus und die Sozialdemokratie ihren letzten großen Auftritt als Bremser der proletarisch-sozialistischen Revolution hatten. Die Antwort der KapitalistInnen auf diese verlorenen Chancen musste das Proletariat teuer bezahlen: Die Großoffensive von Reagan und Thatcher in den ‘80er und ‘90er Jahren mit all ihren Konsequenzen, wie dem Verlust von Errungenschaften für die ArbeiterInnenklasse und vor allem dem Prozess der kapitalistischen Restauration in den deformierten und degenerierten ArbeiterInnenstaaten.

Anders als diejenigen, die eine historische Niederlage darin sehen, welche die ArbeiterInnenklasse ein für alle Mal von der Bühne der Geschichte hinweggefegt hat, denken wir, dass die neue internationale Perspektive große revolutionäre Möglichkeiten eröffnen wird.

Schon Rosa Luxemburg sagte, dass der Kampf für die Befreiung des Proletariats ein beschwerlicher Weg voller Niederlagen sei, der aber letztendlich zum Sieg führt. Während der Jahre des Pakts von Jalta schien dieser Sinnspruch seine Gültigkeit zu verlieren: Die ArbeiterInnenklasse errang Siege und immer neue Errungenschaften, die, während sie die reformistischen Führungen stärkten, hinterher zu Niederlagen führten, wie z.B. die sogenannte „neoliberale“ Offensive, und die mit dem Verlust der Errungenschaften, die diese Führungen zu verteidigen schienen, einhergingen.

Wir sind der Meinung, dass die Veränderung dieser Bedingungen zu widersprüchlichen Ergebnissen führt.

Der riesige Verlust der Errungenschaften und die Fragmentierung des Proletariats, welche die imperialistische Offensive der ‘90er Jahre mit sich gebracht hat, nährt eine Krise der proletarischen Subjektivität, was dazu führt, dass die ArbeiterInnenklasse von sehr weit unten anfangen muss, ihre Reihen zu vereinigen. Aber die derzeitige Etappe des Niedergangs der US-Hegemonie und des Untergangs des stalinistischen Apparates eröffnet die Möglichkeit, die aktuelle Krise zugunsten der Bewegung der Massen zu überwinden, befreit von einer Zwangsjacke, die jahrzehntelang die Entstehung und Entwicklung von Organismen wie Sowjets (Räte) verhinderte. Die Bewertung der strategischen Wichtigkeit dieser Art von Organismen direkter Demokratie der Massen, ist eine Frage, bei der Trotzki und Gramsci mehr miteinander gemeinsam haben als beide mit der Mehrheit ihrer jeweiligen „AnhängerInnen“. Wenn aber heute nur noch eine sehr schwache Kontinuität von Trotzkis Gedankengut bewahrt bleibt, hat Gramsci ein noch schlimmeres Los getroffen. Der Bruch zwischen den heutigen GramscianerInnen, echte „moderne“ Moderate und VorkämpferInnen passiver Revolutionen, und dem revolutionären Gramsci ist ungleich größer als der zwischen Trotzki und den heutigen TrotzkistInnen. So kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass die Kontinuität jenes „Marxismus in der Offensive“ der Dritten Internationale, die der Trotzkismus trotz all seiner Verzerrungen in sich trägt, das Ergebnis einer historisch richtigen Entscheidung ist: das wichtigste Werk von Trotzki, die Gründung der Vierten Internationale 1938. Diese Erkenntnis setzt deren Wiedergründung auf die Tagesordnung, wobei wir die Lehren aus ihrer Degeneration ziehen müssen. Wir betrachten die vorliegende Arbeit als einen Beitrag, der in diese Richtung geht, angesichts der neuen Etappe des Klassenkampfes und der Herausforderungen der Zukunft.

    Fußnoten

    [1]. Vgl. Perry Anderson: „The Antinomies of Antonio Gramsci“. Eine andere vergleichende Studie ist Roberto Massaris „Trotsky y Gramsci“, aus dem wir in diesem Artikel zitieren.

    [2]. Isaac Joshua: „La crisis del 29 y la emergencia americana“. (Eigene Ìbersetzung.)

    [3]. „Der russische Emigrant sagte, daß er seit 1917 häufig behauptet hatte, daß das Weltkapital sich unter der zunehmenden Hegemonie der USA entfalten würde, vor allem unter der Hegemonie des Dollars über dem britischen Pfund“, war zu lesen in einem in der New York Times veröffentlichten Artikel vom März 1933, der auf einem Interview der Associated Press mit Trotzki auf Prinkipo basierte.

    [4]. Leon Trotsky: „Nationalism and Economic Life“. Writings 1933-34. S. 161f. (Eigene Ìbersetzung.)

    [5]. Antonio Gramsci: „Amerikanismus und Fordismus“. In: Gefängnishefte. Bd. 9, Heft 22, §1. Argument-Verlag 1999, S. 2063 ff..

    [6]. Kritik der Internationalen Linken Opposition am Programm der Kommunistischen Internationalen. 1927. (Eigene Ìbersetzung.)

    [7]. Gemeint ist der wirtschaftliche Determinismus einiger Passagen des Erfurter Programms der Zweiten Internationale unter der Leitung von F. Engels. Trotz der marxistischen Terminologie, die sich insbesondere im ersten, von Kautsky verfassten Teil des Programms fand, blieben Vorstellungen über die zukünftige Gesellschaftsordnung offen und traten hinter die konkreten und pragmatischen tagespolitischen Forderungen zurück.

    [8]. Ebd.

    [9]. „Im Prozess der Geschichte begegnet man stabilen, vollständig unrevolutionären Situationen. Man begegnet auch ausgesprochen revolutionären Situationen. Es gibt auch konterrevolutionäre Situationen (das soll man nicht vergessen!). Was aber in unserer Epoche, der Epoche des faulenden Kapitalismus ganz besonders vorherrscht, das sind mittlere und Ìbergangssituationen: zwischen nichtrevolutionären und vorrevolutionären, zwischen vorrevolutionären und revolutionären oder … konterrevolutionären Situationen. Gerade diese Ìbergangszustände sind von ausschlaggebender Bedeutung vom Standpunkt der politischen Strategie.“ Trotzki, Leo: „Dialektik und Metaphysik“ In: Wohin geht Frankreich? 1936. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1935/wohinfr2/01.htm. (Hervorhebungen im Original.)

    [10]. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Bd. 7, Heft 13, §17. Argument-Verlag 1996, S. 1563 f..

    [11]. Später werden wir sehen, wie Trotzki nach der Wirtschaftskrise von 1929 mit dem gleichen methodologischen Kriterium die Elemente von wirtschaftlicher Krise, Klassenkampf und den zwischenstaatlichen Spannungen miteinander verbindet und auf den Anfang einer neuen „katastrophischen Phase“ (um es mit Gramsci auszudrücken) in den ’30er Jahren hinweist, wo sich die revolutionären Versuche und der Gang der imperialistischen länder gen Zweiten Weltkrieg mischen würden.

    [12]. C.R. Aguilera Prat. In: „Gramsci y la vía nacional al socialismo“. (Eigene Ìbersetzung.)

    [13]. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Bd. 9, Heft 22, §1. Argument-Verlag 1999, S. 2063.

    [14]. „Der Begriff der passiven Revolution muß streng von den zwei Grundprinzipien Politischer Wissenschaft [basierend auf den Grundrissen der Politischen Ökonomie von Marx, A.d.R.] hergeleitet werden: 1. daß keine Gesellschaftsformation verschwindet, solange die Produktivkräfte, die sich in ihr entwickelt haben, noch Raum für eine weitere Vorwärtsbewegung finden; 2. daß die Gesellschaft sich keine Aufgaben stellt, für deren lösung nicht bereits die notwendigen Bedingungen ausgebrütet sind, usw. Es versteht sich, daß diese Prinzipien zuvor kritisch in ihrer ganzen Tragweite entwickelt und von jedem Rest von Mechanizismus und Fatalismus gereinigt sein müssen.” (Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Bd. 7, Heft 15, §17. Argument-Verlag 1996, S. 1734.)
    Dieses Zitat von Gramsci von einem sehr allgemeinen und abstrakten Charakter kann zu falschen Interpretationen führen, die vor allem bei den ReformistInnen zu finden sind, die behaupten, dass jede Niederlage eines revolutionären Prozesses „gerechtfertigt“ werden könnte mit den „objektiven Bedingungen“ (oder ihn sogar als zu „verfrüht“ bezeichnen), wobei die konkrete Rolle der Führung der ArbeiterInnenklasse und der Massen beim Ausgang des selben unterbewertet bleibt.

    [15]. Friedrich Engels: Einleitung zu Karl Marx „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“. 1895. http://www.mlwerke.de/me/me22/me22_509.htm.

    [16]. Zu den unterschiedlichen Konzepten von Revolution nach Trotzki und Gramsci siehe den nächsten Artikel in diesem Heft.

    [17]. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Bd 7, Heft 15, §10- §11. Argument-Verlag 1996, S. 1727.

    [18]. Aguilera de Prat weist richtigerweise und um Vorurteile über Gramsci auszuräumen auf diesen Schlüsselaspekt hin: „Es geht auf jedem Fall um eine dialektische Auffassung dieser Erkenntnis, die sich nicht in ein politisches Aktionsprogramm, wie es die Moderaten im Risorgimento vertraten, verwandelt [er meint ein passives Revolutionsprogramm, A.d.R.], sondern nur als ein methodologisches Kriterium der Deutung dienen soll.“ (Eigene Ìbersetzung.)

    [19]. Angesichts des Aufstiegs von Mussolini in Italien sagte Trotzki bezüglich der KPI: „Die Kommunistische Partei Italiens war fast gleichzeitig mit dem Faschismus entstanden. Doch die gleichen Bedingungen der revolutionären Ebbe, die den Faschismus an die Macht brachten, hielten die Entwicklung der Kommunistischen Partei auf. Sie legte sich nicht Rechenschaft ab über das Ausmaß der faschistischen Gefahr, wiegte sich in revolutionären Illusionen, war ein unversöhnlicher Gegner der Einheitsfrontpolitik, mit einem Worte: sie litt an allen Kinderkrankheiten. Kein Wunder, sie war erst zwei Jahre alt. Der Faschismus erschien ihr lediglich als ”škapitalistische Reaktion‘. Die spezifischen Züge des Faschismus, die sich aus der Mobilisierung des Kleinbürgertums gegen das Proletariat ergeben, nahm die Kommunistische Partei Italiens nicht wahr. Mit Ausnahme des einzigen Gramsci schloß die Kommunistische Partei, wie mir italienische Freunde mitteilen, selbst die Möglichkeit der faschistischen Machtergreifung aus. Hat einmal die proletarische Revolution eine Niederlage erlitten, der Kapitalismus sich befestigt, die Konterrevolution triumphiert, was für einen konterrevolutionären Umsturz kann es da noch geben? Die Bourgeoisie kann doch nicht gegen sich selbst einen Aufstand machen! Das war der Kern der politischen Orientierung der italienischen Kommunistischen Partei. Man darf dabei nicht vergessen, daß der Faschismus damals eine neue Erscheinung darstellte und sich erst im Formierungsprozeß befand. Seine spezifischen Züge herauszuschälen wäre auch einer erfahreneren Partei nicht leicht gefallen.“ (Leo Trotzki: Was nun? 1936. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun/kap07.htm.)

    [20]. In seiner Arbeit „Trotsky y Gramsci” erinnert sich Roberto Massari: „Am 22 November 1922 diktierte Lenin an Trotzki (am Telefon) folgende Nachricht: ”šWas Bordiga angeht, schlage ich vor, den Vorschlag Trotzkis anzunehmen, den italienischen Delegierten einen Brief unseres ZK zu schicken, in dem wir ausdrücklich die Taktik, die Sie vorschlagen, empfehlen. Im Gegenfall werden ihre Maßnahmen in Zukunft weitreichende schädliche Folgen für die italienischen Kommunisten haben.‘ (…) Die von Trotzki und der Mehrheit der Führung der Kommunistischen Internationale an die italienischen Delegation im November 1922 ”šangedeutete’ Taktik war die Taktik der Einheitsfront mit anderen Organisationen der Arbeiterbewegung, angefangen bei den Reformisten, welche die Hauptverantwortung für den Aufstiegs Mussolinis trugen und immer noch auf ein friedliches Zusammenleben zwischen dem Faschismus und den – noch – legalen Arbeiterorganisationen hofften, d.h, auf eine Versöhnung zwischen dem Großkapital und dem Minimalprogramm von Forderungen der Arbeiterklasse. 1922 widersprach die Internationale den Ansichten der bordigistischen Delegation, die fälschlicherweise eine diktatorische Äquivalenz zwischen der bürgerlichen Demokratie und dem Faschismus sah und sich aus den Streitfragen der Analyse heraus hielt, sich dafür aber umso härter in die organisatorischen Fragen einmischte. Diese Sorge beweist, dass ein instinktives Alarmsignal bereits seinen Widerhall im IV. Kongress fand. Die oben genannte Empfehlung von Lenin und Trotzki zeigt, dass auch die zwei wichtigsten bolschewistischen Führer weitreichende Folgen befürchteten, wenn die von der italienischen Führung eingeschlagene Richtung nicht geändert werden sollte. Dennoch war der Hauptgegenstand ihrer Besorgnis die Fusion zwischen der jungen Partei und der maximalistischen SPI. (…) Wie man weiß, wurde der Vorschlag Trotzkis angenommen. Zwei Tage nach dem telefonischen Gespräch von Lenin und Trotzki sah sich die italienische Delegation mit einem Brief des ZK der russischen KP konfrontiert, unterzeichnet von Lenin, Trotzki, Zinoviev, Radek und Bucharin, in der ihr praktisch die Fusion mit der SPI aufgezwungen wurde. Bordiga akzeptierte diese Auflage aus Disziplin, blieb dennoch aber bei seiner Position.” Roberto Massari: „Trotsky y Gramsci”. In: En Defensa del Marxismo Nr. 13, Buenos Aires 1996.

    [21]. Juan Carlos Pontantiero. In: „Los Usos de Gramsci“. (Die in fetter Schrift gekennzeichneten Passagen sind textuelle Zitate von Gramsci. Eigene Ìbersetzung.)

    [22]. Leo Trotzki: „Sobre la cuestión de las tendencias en el desarollo de la economía mundial“. 1926. (Eigene Ìbersetzung.)

    [23]. Leo Trotzki: „El bagaje teórico de Molotov“. 1930. (Eigene Ìbersetzung.)

    [24]. Leo Trotzki: „El Nacionalismo y la economia“. November 1933. (Eigene Ìbersetzung.)

    [25]. Lenin: „Staat und Revolution“.

    [26]. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Heft 3.

    [27]. Leo Trotzki: „Marxismus in Unserer Zeit“. 1939. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/04/marxismus.htm.

    [28]. Mario Teló: Gramsci y el futuro de Occidente en „Los estudios gramscianos hoy“. (Eigene Ìbersetzung.)

    [29]. „Die ”šnormale‘ Ausübung der Hegemonie (…) zeichnet sich durch die Kombination von Zwang und Konsens aus, die sich in verschiedener Weise die Waage halten, ohne daß der Zwang zu sehr gegenüber dem Konsens überwiegt“. Aber in bestimmten Situationen, in denen der Gebrauch von Zwang zu risikoreich war, existiert „zwischen Konsens und Zwang (…) Korruption-Betrug (…), also die Zermürbung und lähmung, die dem Antagonisten oder den Antagonisten zugefügt wird“. (Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Bd. 7, Heft 13, § 37. Argument-Verlag 1996, S. 1610.) Dazu bemerkte Perry Anderson in Bezug auf die US-Hegemonie nach dem Zweiten Weltkrieg kürzlich in einem Editorial der New Left Review: „Der auf diesem Weg erweiterte Konsens war ein spezieller. Die Eliten von Russland und – hier hatten sie schon früher begonnen – China waren sicherlich dem Magnetismus des US-amerikanischen materiellen und kulturellen Erfolgs ausgesetzt, als Normen, die es zu imitieren galt. In diesem Sinne begann die Internalisierung von bestimmten Werten und Attributen des überlegenen Staates seitens der subalternen Mächte, die Gramsci als einen essentiellen Bestandteil jeglicher internationaler Hegemonie betrachtet hätte, ihre Wirkung zu zeigen. Aber der objektive Charakter dieser Regimes war noch zu weit entfernt vom US-amerikanischen Prototyp für solche subjektiven Veranlagungen, als dass diese eine wirksame Garantie für jeden Akt der Gefälligkeit im UN-Sicherheitsrat dargestellt hätten. Dafür war das dritte Element nötig, welches Gramsci hervorgehoben hatte – zwischen dem Zwang und dem Konsens, aber näher am letzteren dran – die Korruption.“ Perry Anderson: „Force and Consent“. In: New Left Review 17, September/Oktober 2002. http://www.newleftreview.org/?view=2407. (Eigene Ìbersetzung.)

    [30]. Natürlich fallen die Revolutionen in Jugoslawien und China, die unter Führung einer Guerrilla und einer nationalen stalinistischen Partei im Dissens mit Moskau stattfanden, die zwar auch die Entstehung von ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnensowjets unterbanden und die Revolution innerhalb ihrer nationalen Grenzen einfroren und daher auch nur zur Bildung von degenerierten ArbeiterInnenstaaten führten, nicht in diese Kategorie der „passiven proletarischen Revolutionen“, da die Massen und ihre Avantgarde eine durch ihr Eintreten in die „Partei/Armee“ Titos und Maos eine aktive Rolle spielten. Für unsere Einschätzung dieser Revolutionen, siehe: Estrategia Internacional Nr. 3 vom Februar 1992.

    [31]. Leo Trotzki: „Offener Brief an die indischen Arbeiter“. Abrufbar unter: http://www.internationalesozialisten.de/Buecher/Klassiker/Trotzki/Nationale%20Frage%20und%20nationale%20Minderheiten.pdf.

    [32]. Darunter fallen, außer unzähligen Schriften und Artikeln, Werke wie „Die verratene Revolution“ und „Verteidigung des Marxismus“.

    [33]. Leo Trotzki: „Die objektiven Voraussetzungen der sozialistischen Revolution“. In: Das Ìbergangsprogramm. 1938. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ueberg1.htm.

    [34]. In die gleiche Richtung gehen Jorge Altamira und die PO in Argentinien, obwohl es sich in diesem Fall nicht um eine internationale Strömung handelt. Die PO stand sowohl in Verbindung mit der Strömung Lamberts als auch mit der Loras und hängt einer wirtschaftlich-katastrophistischen Pseudotheorie an, die sie heutzutage ad absurdum führt.

    [35]. Diese Kombination aus verschiedenen Faktoren in den ‘30er Jahren führte dazu, dass die Sozialdemokratie in einigen zentralen ländern wie Frankreich – jenseits dessen, was ihre reformistische Führung wünschte – für eine Weile destabilisiert wurde. Das veranlasste Trotzki, den kleinen revolutionären Zellen den Entrismus in der PS ans Herz zu legen (bekannt als „französische Wende“), um so die radikalsten Elemente aus deren Inneren anzuziehen und sich von dieser Massenpartei aus an die kommunistischen ArbeiterInnen zu wenden, die in der vollkommen stalinistischen KP waren.

    [36]. Leo Trotzki: Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution. 1940. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1940/kriegman/teil2.htm.

    [37]. Der trotzkistische Führer Nahuel Moreno, Gründer der Tendenz, aus der wir hervorgegangen sind, sagte angesichts dieser widersprüchlichen Situation nach dem Krieg, dass „die Realität trotzkistischer geworden ist als Trotzki“.

    [38]. Wir erkennen durchaus, dass die von Nahuel Moreno in Argentinien geleitete Strömung, aus der wir hervorgegangen sind, sich zuerst im Peronismus der ‘50er Jahre verlor und dann dazu überging, die kubanische Führung Fidel Castros in den Himmel zu loben.

    [39]. Anderson, Perry: „In the Tracks of Historical Materialism“. University of Chicago. 1984, S. 79 f.. (Eigene Ìbersetzung.)

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