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„Kämpfe der Arbeiter und der Studenten sind zwei Seiten derselben Medaille im Kampf gegen den Kapitalismus“
von : FT-CI Deutschland

05 Jan 2011 | „Clase contra Clase“, die Gruppe der Trotzkistischen Fraktion im Spanischen Staat, interviewte den deutschen Austauschstudenten Stephan in Saragossa über seine Wahrnehmung des Generalstreiks und Perspektiven des Klassenkampfes auch für Deutschland.

„Clase contra Clase“, die Gruppe der Trotzkistischen Fraktion im Spanischen Staat, interviewte den deutschen Austauschstudenten Stephan in Saragossa über seine Wahrnehmung des Generalstreiks und Perspektiven des Klassenkampfes auch für Deutschland.

1. Als deutscher Austauschstudent in Spanien konntest du den Generalstreik vom 29. September miterleben. Wie hast du den Streik empfunden?

Es war eine sehr interessante Erfahrung für mich, zumal es der erste Generalstreik war bei dem ich anwesend war. Mich beeindruckte die große Anzahl von Arbeitern die mit verschiedenen gewerkschaftlichen, politischen oder sozialen Organisationen auf die Straße gingen. Ich wusste bis zu diesem Punkt nicht sehr viel über die Situation in Spanien. Aus diesem Grund war mir nicht nur die Begeisterung der Arbeiter auf den Straßen oder auf den Streikposten für den Streik neu, sondern vor allem überraschte mich der Unmut mancher Arbeiter gegenüber den beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT. Mit der Zeit wurde mir klar, dass dieser Unmut zwei Gründe hatte: Erstens hatten die beiden Gewerkschaften den Generalstreik zu spät ausgerufen, und zweitens, hätten sie diesen, mit Hilfe von (Voll-)Versammlungen in Unis, Fabriken, usw. viel mehr Kraft geben können. Die Gewerkschaften hatten lediglich die Absicht mit dem Streik dem generellen Unmut in der Bevölkerung ein Ventil zu geben, ohne den Kampf danach fortführen zu wollen.
Ich finde es falsch, dem Kampf keine Kontinuität zu geben. Jede Gewerkschaft und vor allem CCOO und UGT (als die größten), sollten einen Aktionsplan aufzeigen der vor allem Jugendlichen ohne irgendeiner gewerkschaftlichen oder politischer Erfahrung eine Möglichkeit gibt sich gegen die Angriffe der Regierung und der „Arbeitgeber“ zu wehren.

2. Was hälst du von dem Gruß den Michael Sommer, Vorsitzender des DGB und … , an die spanischen Gewerkschaften richtete?


Ich weis nicht was er genau gesagt hat. Auf jeden Fall handelte es sich hierbei um einen Glückwunsch den der Vorsitzende eines reformistischen Gewerkschaftsbundes an seine Kollegen der CCOO und UGT richtete, weil sie streikten. Es ist ein heuchlerischer Glückwunsch, da der DGB selbst noch keinen ernsthaften Versuch gemacht hat das demokratische Recht, welches der Generalstreik definitiv darstellt (und welches seit den 50er Jahren in Deutschland effektiv verboten ist), zu erkämpfen.

3. Der 29ste September war ein Startschuss zum weitermachen und auch in anderen ländern wie Frankreich haben Arbeiter und Studenten viel Kraft gezeigt. Glaubst du, dass der Zusammenhalt zwischen Studenten und Arbeitern wichtig ist?

Selbstverständlich ist es wichtig, dass Arbeiter und Studenten hand in Hand arbeiten. Die einen können keinen Kampf ohne die anderen gewinnen und dies zeigt sich anhand vieler Beispiele. In Frankreich z.B. hat der Kampf mit den Arbeitern begonnen und viel an Fahrt aufgenommen als sich die Studenten der Mittelschulen anschlossen. Gleichzeitig zeigen die von Studenten angefangenen Kämpfe in Frankreich (gegen das CPE) oder auch in Italien und Griechenland (gegen den Bolognaprozess), dass Siege nur mit Hilfe der Arbeiter errungen werden können. Dies ist weil nur die Arbeiter die Macht haben ökonomischen Schaden anzurichten und das das einzige ist wovor die Elite die uns regiert Angst hat. Ich glaube, dass in letzter Konsequenz, die Kämpfe der Arbeiter und der Studenten zwei Seiten der selben Münze sind, sind sie doch eigentlich alle ein Kampf gegen den Kapitalismus, der denen gibt die schon haben und die Ärmsten ausbeutet.
4. Nach dem 29sten September hat es weitere Arbeiterkämpfe z.B. bei LEAR, HP, TUSZA gegeben und neuerdings auch bei Telepizza, wo die Mitglieder von „Clase contra Clase“ sich einen harten Kampf mit dem Unternehmen liefern. Was haltest du davon?
In allen genannten Konflikten hat es Entlassungen gegeben, bei denen mich die gemeinsamen Aktionen von noch Arbeitenden mit den Entlassenen beeindruckten. Die Solidarität der beiden Gruppen zeigt, dass ein Klassenbewusstsein am entstehen ist.
Von den genannten Arbeiterkämpfen hat allerdings nur der von Telepizza direkt etwas mit dem 29sten September zu tun.

5. Was macht den Konflikt bei Telepizza so wichtig?

Bei Telepizza wurde ein Festangestellter Arbeiter unter falschen Anschuldigungen Entlassen. Vor dem Generalstreik hatte er seinen Mitarbeitern eine Versammlung um über die Arbeitsreform zu diskutieren vorgeschlagen und die Wichtigkeit eines Betriebsrates in Telepizza unterstrichen. Das Unternehmen hat versucht mit dieser Entlassung ein Exempel zu statuieren und die restliche Belegschaft dazu einzuschüchtern nichts am Unternehmen zu kritisieren, d.h. nicht die prekären Arbeitsbedingungen zu hinterfragen.
„Clase contra Clase“ hat sofort mobilisiert und einen Aktionsplan zwecks der Wiedereinstellung des Entlassenen und der Organisation der Angestellten in einem kämpferischen Betriebsrat entworfen. Wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der dort Arbeitenden jünger als 25 ist gewinnen die Aktionen sehr an Bedeutung, da sie, entgegen der vorherrschenden Meinung, beweisen können, dass die Jugend durchaus dazu in der Lage ist sich zu organisieren und direkt für ihre Rechte zu kämpfen.

6. Reden wir ein wenig über Deutschland. Wie schätzt du die dortige soziale Lage und die der Arbeiter ein?

Als erstes muss gesagt werden, dass die soziale Lage in Deutschland, obwohl besorgniserregend, nicht so schlimm ist wie die anderer länder. Allerdings versuchen die Medien uns ein falsches Bild von Deutschland zu verkaufen, welches suggeriert, dass es, nur weil es der Wirtschaft zeitweise wieder gut geht, auch den Menschen gut geht. Wenn die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte ungefähr die Hälfte des gesamten deutschen Privatvermögens besitzen kann zumindest von Gerechtigkeit nicht die Rede sein.
Außerdem können viele Statistiken die Wohlstand implizieren, wie z.B. die relativ niedrige Arbeitslosenquote, nur durch statistische Tricks Aufrecht erhalten werden. So werden in der offiziellen Zahl der Arbeitslosen u.a. Arbeitslose die älter sind als 58, „1 Euro Jobber“, kranke Arbeitslose und Arbeitslose die an Weiterbildungen teilnehmen nicht hineingezählt.
In der realen Welt haben auch Menschen mit Arbeitsplatz nicht immer würdige Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Tatsache, dass es keinen gesetzlichen vorgegebenen Mindestlohn gibt hat zur Konsequenz, dass viele Arbeiter nicht von ihrem Lohn allein leben können. Davon sind vor allem im rasant größer werden Niedriglohnsektor und in der Zeitarbeit Beschäftigte betroffen aber auch so mancher Festangestellter hat darunter zu leiden.
Tatsächlich, liegt in Deutschland also so manches im Argen.

7. Welche Rolle spielen die Gewerkschaften?

Die dem DGB zugehörigen Gewerkschaften sind offene Befürworter der freien Marktwirtschaft, was heißt, dass sie Partei für den Kapitalismus und einen starken bürokratischen Staat ergreifen.
In Deutschland gibt es die so genannte „Sozialpartnerschaft“, bei dem Gewerkschaftsfunktionäre und „Arbeitgeber“ die Arbeitsbedingungen der Arbeiter eines bestimmten Sektors aushandeln. Dabei entsteht fälschlicherweise der Eindruck, dass Arbeiter und „Arbeitgeber“ dieselben Interessen hätten.
Außerdem verhindert die Tatsache, dass bezahlte Gewerkschaftsfunktionäre die Arbeitsbedingungen ohne die Angestellten aushandeln, dass die Arbeiter selbst basisdemokratisch über ihre Forderungen verhandeln. Meiner Meinung nach ist eine demokratische Kultur und eine basisdemokratische Organisation der Werktätigen in Arbeiterräten dringend notwendig um wirklich bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

8. Vor einiger Zeit hast du dich an der Studentenbewegung gegen den Bologna-Prozess beteiligt. Wie schätzt du nach alledem die Lage der Jugend in Deutschland ein?

Es wird oft gesagt, dass die heutige Jugend es zu gut hat um sich zu bewegen. Bedenkt man aber z.B. die Tatsache, dass lediglich 11% der Jugendlichen, deren Eltern nicht wenigstens einen Hauptschulabschluss erlangt haben, es bis zu einem Hochschulstudium schaffen, zeigt sich, dass die Situation der heutigen Jugend alles andere als gut ist.
Ich finde allerdings, dass die Jugendlichen in Deutschland (wie in vielen andern ländern auch) die Tradition verloren haben, für Verbesserungen ihrer Lebensqualität zu kämpfen. Ich glaube, dass viele Jugendliche einfach nichts mit den bestehenden Institutionen anfangen können und keine Möglichkeit sehen ihre Situation zu ändern. Die spärliche Anzahl von Streiks, antidemokratische (Hoch)schulen und vor allem die fehlende Erfahrung mit Unternehmen in Arbeiterhand, in Kombination mit ständiger kapitalistischer Werbung (in der Musik, im TV, Internet, …), haben das Klassengefühl und scheinbar den Wert der Solidarität verloren gehen lassen.
Nichts desto trotz, hat es in letzter Zeit einige Bewegungen (Stuttgart 21, Castor-Transport) gegeben an denen viele Jugendliche mitgewirkt haben. Das macht Hoffnung.

9. Stuttgart 21 und die Anti-Atom-Proteste sind demokratische Bewegungen die die deutschen Arbeiter aufwecken könnten. Wie ist deine Meinung dazu?

In beiden Fällen zeigt sich eine Bevölkerung, welche unzufrieden mit ihren politischen Vertretern ist, die Anstatt die Interessen des Volkes zu bedienen sich zu Komplizen des Kapitals gemacht haben. Im Fall von Stuttgart 21 ist die große Mehrheit der Einwohner der Stadt (und in der Tat, des gesamten Landes), gegen den Abriss des alten Bahnhofes, nur um Millionen in einen neuen zu investieren der keinem außer denjenigen die ihn bauen etwas bringen wird.
Die Anti-AKW Bewegung wendete sich gegen die Pläne der Regierung die Laufzeiten gefährlicher Atomkraftwerke zu verlängern (und weiterhin zu subventionieren, anstatt mehr in erneuerbare Energien zu investieren). Die Unbeliebtheit von Berufspolitikern in der Bevölkerung zeigte sich vor allem auf der Abschlusskundgebung, als nämlich kein Berufspolitiker eine Rede halten durfte.
Bemerkenswert an beiden Protesten ist, dass Arbeiter, Studenten und auch Rentner sich gemeinsam für dieselbe Sache eingesetzt haben. Dieses Gefühl des Zusammengehörens muss sich festigen um in Zukunft einen Klassenkampf zu ermöglichen.

10. Zurück zu Spanien… Wie schätzt du eine kleine trotzkistischen Gruppe, wie sie „Clase contra Clase“ ist, im Kontext des Klassenkampfes ein?

„Clase contra Clase“ ist meiner Meinung nach eine kleine, radikale, gut organisierte und vor allem extrem engagierte Gruppierung.
Ich muss zugeben, dass mich das Auftreten von „Clase contra Clase“ anfangs etwas abgeschreckt hat. Kyrillische Buchstaben in Verbindung mit Bildern und Texten über Revolution werden in der heutzutage nun einmal normalerweise in Zusammenhang mit der Sowjetunion oder der DDR gebracht. In Gesprächen mit Mitgliedern der Gruppe konnte ich allerdings erkennen, dass das wofür sie stehen etwas gänzlich anderes ist als der brutale und autoritäre als Kommunismus verkannte Stalinismus. Ihre Ideologie, der Trotzkismus, hat eine Basisdemokratie zum Ziel, welche ihren Ausdruck in der Selbstorganisation der Arbeiter in Arbeiterräten findet.
Außerdem beeindruckt mich, wie ich schon sagte, die Hingabe und der Einsatz mit dem die Mitglieder der Gruppe für ihre Ziele kämpfen. Am meisten beeindruckte mich wie die „linke Studentengewerkschaft“ (ein Teil von Clase contra Clase) die Einheit von Arbeitern und Studenten betont in dem sie z.B. Streikposten in verschiedenen Fabriken immer wieder aktiv unterstützt.

11. In welchem Maße kann eine kleine avantgardistische Gruppe in Spanien den Ausgebeuteten in Deutschland helfen?

Meiner Meinung nach, könnte sich so manche Gruppierung in Deutschland von Clase contra Clase etwas abschauen. Ich habe den Eindruck, dass viele soziale Organisationen in Deutschland fürchten sich zu einer Ideologie zu bekennen oder sich allgemein politisch zu äußern, weil sie Angst haben Sympathisanten zu verstoßen oder meinen sie würden ihren Fokus verlieren. Clase contra Clase zeigt, dass es möglich ist, einen theoretischen, allgemein politischen Anspruch zu haben und dennoch mit anderen Organisationen oder Einzelpersonen zusammen zu arbeiten und konkrete Ziele umzusetzen.
In diesem Sinne ist es wichtig, dass (auch kleine) Organisationen wie Clase contra Clase in großem Rahmen denken und den Austausch mit ähnlichen Gruppierungen in anderen ländern wie z.B. Deutschland suchen. Organisationen in Spanien und Deutschland können beide noch viel von einander lernen. In einer globalisierten Welt ist es für soziale Organisationen, die gegen den Kapitalismus kämpfen, eben essentiell wichtig global aufgestellt zu sein.

 

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