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Zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland
von : Internationaler Klassenkampf

15 Jan 2009 |
Zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland

Der kürzliche Freispruch der Polizisten, die den Asylbewerber Oury Jalloh in seiner Zelle verbrennen ließen, ist ein drastisches Beispiel für Polizeigewalt und ihre staatliche Legitimierung gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen .Der Abbau der demokratischen Rechte in Deutschland als Präventivmaßnahme gegen möglichen gesellschaftlichen Widerstand betrifft bisher vor allem die linke Avantgarde und MigrantInnen. Die Kriminalisierung, Ausbeutung und Repression gegen die etwa 7 Millionen legalisierten MigrantInnen sind allerdings nichts Neues in Deutschland. Den Ìberwachungs- und Repressionsmechanismen des bürgerlichen Staates am stärksten ausgesetzt sind jedoch die ca. 1,5 Millionen in Deutschland lebenden MigrantInnen und Flüchtlinge mit prekärem/ungesichertem Aufenthalt oder ohne Papiere. Ìber ihre Lebensbedingungen und Möglichkeiten des Widerstands führten wir ein Interview mit Johanna Steinbach (von der Initiative von und für Flüchtlinge aus Berlin).

Was charakterisiert den „rechtlichen Status“ von Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthalt?
Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthalt meint ja hauptsächlich die Menschen, die hier als Flüchtlinge hergekommen sind, Asyl beantragt haben und dies abgelehnt wurde, wie es meistens der Fall ist. Ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen, kann man sagen, dass das Recht auf Asyl 1993 im Zuge des sogenannten Asylkompromisses abgeschafft wurde. Unter anderem weil die Einführung einer Liste angeblich sicherer Herkunftsstaaten Verfolgung in vielen ländern der Welt pauschal ausschloss. Seit dieser Zeit ist die Situation von Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthalt hier in Deutschland durch Sondergesetze geprägt. Das ist zum Beispiel das Asylbewerberleistungsgesetz, das Geduldete und Asylbewerber unter das Existenzminimum für deutsche Staatsbürger setzt: Sie bekommen wesentlich weniger Sozialhilfe, zum Teil als Sachleistungen und müssen in den meisten Bundesländern in so genannten Gemeinschaftsunterkünften, also Lagern, leben.

Was bestimmt die „reale Lebenssituation“ für Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthalt in diesen Lagern?
Die so genannte Residenzpflicht, eine Wohnsitzauflage, beschränkt ihren Aufenthalt auf den Landkreis des Lagers, dem sie zugewiesen wurden - und sichert den „behördlichen Zugriff“, so steht’s im Gesetz. Die Residenzpflicht ist ein Beispiel dafür, dass Asylbewerber und Geduldete strafrechtlich verfolgt werden können wegen Dingen, die nur in ihrem Fall, wegen ihrem rechtlichen Status überhaupt strafbar sein können: zum Beispiel nämlich, wenn sie von Sachsen-Anhalt nach Berlin fahren! Außerdem bekommen Asylbewerber Chipkarten, mit denen sie nur in bestimmten Supermärkten einkaufen können. Sie haben kein Anrecht auf angemessene medizinische Versorgung, weiterhin dürfen sie nicht arbeiten.

Wenn man das mal etwas abstrakter fasst, bedeutet all dies, dass ihre Lebenssituation von einem engmaschigen Netz behördlicher Kontrolle, eben von Ìberwachung geprägt ist - der Gang zur Ausländerbehörde kann jeden Monat verlangt werden. Außerdem sind sie in jeglicher Hinsicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt und isoliert. Die Lager sind übrigens eigentlich für die Staatskassen wesentlich teurer als Wohnungen zu finanzieren - aber der damit verbundene Zweck der Ausgrenzung, der Isolierung, wiegt offenbar höher.

Flüchtlinge in Deutschland sind also besonderen Kontrollmechanismen ausgesetzt. Welche sind diese neben der Lagerpolitik?

Neben den Kontrollmechanismen, die ich schon genannt habe, gibt es noch die staatliche Kontrolle, die bis weit in die Privatsphäre vordringt: die Ìberprüfung von Eheschließungen wegen dem Verdacht der Scheinehe, DNA-Tests, um Vaterschaften zu überprüfen - auch hier ist zu beobachten, dass das „Erschleichen“ des Aufenthalts verhindert werden soll. Der Ausbau solcher Ìberwachungsmaßnahmen zeigt sich neben der neuerdings vereinfachten Möglichkeit für Behörden, DNA-Tests durchzuführen, auch in Sicherheitsbefragungen, die seit diesem Jahr vielfach Auflage sind, um einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Diese Befragungen dienen der Kontrolle von Personen aus vor allem islamisch geprägten ländern, sie müssen eine Liste von etwa 500 Organisationen durchgehen und angeben, ob sie zu diesen schonmal Kontakt gehabt haben. Aufgelistet sind von kurdischen Organisationen, über islamische und islamistische bis hinzu Widerstandsbewegungen - alles.

Wozu dient diese akribische Ausforschung und Kontrolle?
Die Kontrollmechanismen dienen letztendlich der Unterdrückung und der Abschottung und verfolgen das Ziel, die Leute zur Ausreise zu bewegen oder eben erst gar nicht zur „Einreise“.

Und dann wiederum ist gerade seit dem so genannten Zuwanderungsgesetz, in den letzten Jahren, seit 2005 also, deutlicher denn je der staatliche Wille zu erkennen, „Illegalität“ zwar offiziell verhindern zu wollen, inoffiziell aber geradzu zu fördern. Ein gutes Beispiel hierfür sind die sogenannten Ausreiselager: Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde den Bundesländern die Möglichkeit gegeben, Lager für Ausreisepflichtige zu schaffen, wo diese „durch Betreuung und Beratung“, so steht das im Aufenthaltsgesetz, zur „freiwilligen Ausreise“ bewegt werden sollen. Die Lebensbedingungen in diesen Ausreiselagern sind so miserabel, dass es niemand lange dort aushalten kann. Die Leute werden in die Peripherie verbannt, meistens in alte Kasernen. Sie bekommen 20 Euro im Monat. In dem Ausreiselager in Berlin, in der Motardstraße, liefert Dussmann, das „Kulturkaufhaus“, Essenspakete - abgelaufene und verschimmelte Lebensmittel!

Jedenfalls verlassen viele Flüchtlinge diese Lager und tauchen unter - und diese werden dann wiederum offiziell als „Erfolg“ gewertet, also als „freiwillige Rückkehrer“ deklariert, während sie illegalisiert hier leben.
Alles in Allem würde ich sagen, dienen Flüchtlinge durch die Rechtssprechung und die Position, in die sie durch diese gebracht werden sollen und durch die öffentliche Legitimierung dieses Umgangs mit ihnen als Sündenbock. Sie sind Menschen vierter Klasse und nehmen damit natürlich für die Herrschenden eine ganz bestimmte Funktion ein, indem es auch unterhalb der absolut Prekarisierten noch was gibt sozusagen auf den man alles abwälzen kann: Terrorgefahr, Kriminalität etc.

Wie begegnen Flüchtlinge diesen Unterdrückungsinstrumenten?
Die Leute arbeiten, fahren aus den Lagern in der Peripherie in die größeren Städte, versuchen da irrgeulär Fuß zu fassen, was den Umständen entsprechend und eben auch nicht zufällig ja auch oft gelingt. Sie besuchen die Sprachkurse, die umsonst angeboten werden - sie machen eigentlich all das, was mit „sich integrieren“ im Sinne der bundespolitischen Mainstreams gemeint ist - nur dass es der Rechtsstatus eben nicht vorsieht. Was am Beispiel der „irregulären Migration“ sehr gut erkennbar ist, finde ich, ist, dass die Repressalien gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen eben immer auch ein Reagieren auf solche migrantischen Strategien sind: Die Leute werden nicht nur „nicht rein gelassen“, sondern ihre Strategien werden allen Flüchtlingen und MigrantInnen mit ungesichertem Aufenthalt in Form von dem Generalverdacht, sich politisches Asyl erschleichen zu wollen, dem Generalverdacht, Identität zu fälschen usw. vorgehalten und auch gesetzlich festgeschrieben. Das Migrationsregime, so kann man sagen, steht in ständiger Wechselwirkung mit den Strategien der MigrantInnen.

Welche politischen Reaktionen, welche Bewegungen kämpfen mit welchen Strategien gegen die Repression gegenüber Flüchtlingen?

Zunächst einmal gibt es die Selbstorganisationen von Flüchtlingen und Geduldeten, die auch z.T. bundesweit vernetzt sind. Die Karavane ist eine davon, die Flüchtlingsinitiative Berlin-Brandenburg oder The Voice zum Beispiel. Manche andere, so wie „Jugendliche ohne Grenzen“ arbeiten sehr eng mit Lobbyorganisationen, wenn man sie so nennen kann, wie zum Beispiel den Flüchtlingsräten zusammen. Die Selbstorganisationen dagegen machen zwar auch Aktivitäten mit Unterstützergruppen zusammen, betonen aber ausdrücklich, dass sie nur ihre eigene Lobby sein können und orientieren sich dabei auch stark an der Widerstandsbewegung der sans papiers in Frankreich. Die Selbstorganisationen, fordern das, was sie sowieso praktizieren: Bewegungsfreiheit und Meinungsfreiheit vor allem. Sie berufen sich damit zwar auf Menschenrechte, aber wie kanakattak zum Beispiel sagt, fordern sie Rechte, keine Gesetze. Lobbyorganisationen hingegen gehen in Gesetzesdetails, werten sie aus, stellen konkrete Detailverbesserungs-Forderungen auf Gesetzesebenen. Antirassistische Bewegungen wie kanakattak kritisieren das natürlich, weil Widerstand gegen die im Gesetz verankerten rassistischen Strukturen ihrer Meinung nach nicht innerhalb dieser Logik stattfinden kann.
Kannakattak ist übrigens eine der wenigen Initiativen, die die Situation von MigrantInnen mit der von Flüchtlingen einerseits verknüpfen in ihrer antirassistischen Kritik und andererseits das Ganze eben mit der gesamtgesellschaftlichen Lage, der Repression einerseits und des Arbeitskampfes andererseits in Verbindung setzen. Ansonsten kann man noch sagen, dass the voice als eine der Widerstandsorganisationen, die ich genannt habe, stark auf kolonialistische und imperialistische Zusammenhänge verweist und zum Beispiel ihre Forderungen immer wieder aus dem Slogan „Wir sind hier, weil ihr unsere länder zerstört habt“ herleiten.

Welche Möglichkeiten des „eigenen“ - migrantischen Widerstandes gibt es?

Man kann sich vorstellen, dass die Verteilung und Unterbringung in Lagern und der „behördliche Zugriff“ der damit jederzeit verbunden sein soll, nicht gerade die Möglichkeiten der Zusammenkunft und des organisierten politischen Widerstands vereinfacht. Zudem haben viele Leute, gerade im Asylverfahren, meiner Erfahrung nach, einfach Angst, aktiv zu werden, weil es von Seiten der Behörden oder Gerichte gegen sie ausgelegt werden kann - was tatsächlich auch passiert. Leute die Filme über das Leben in Lagern gedreht haben zum Beispiel hatten danach Probleme mit der Ausländerbehörde. Wie die Lager von Innen aussehen, soll offensichtlich nicht im Detail an die Öffentlichkeit geraten - dafür gibt es zahlreiche Beispiele.

Im Sommer diesen Jahres gab es einen Aufstand der Lagerbewohner in Katzhütte, bei Saalfeld in Thüringen. Durch mehrere Demonstrationen und Aktionen wurde zwar einerseits bewirkt dass viele der dort lebenden Familien in Wohnungsn umziehen konnten - insbesondere Familien mit Kindern, die wegen des Schimmels an den Wänden im Lager bereits Atemwegserkrankungen hatten. Leider ist der Aktivismus seitens der Leute, die dann in Wohnungen lebten eingeschlafen, es gab aber auch Personen, auch Familien, die im Lager wohnen geblieben sind, um weiter zu machen mit den Protesten bis es geschlossen wird. Motiviert von dieser Aktion haben auch Bewohner anderer Lager sich zusammengeschlossen und die Stimme erhoben. Das Ganze lief nicht immer unproblematisch ab: einem der Anführer sozusagen der Bewegung wurde mehrfach die Abschiebung ( auch durch Abschiebeknast) angedroht. Das erinnert mich außerdem an eine rechtliche Regelung, die es früher gab: Wenn Flüchtlinge sich in Deutschland weiter politisch gegen das Regime oder die Regierung ihres Herkunftlandes auflehnten, engagierten, konnten sie noch vor einigen Jahren „Asylfolgegründe“ geltend machen. Mittlerweile hat sich das geändert, was bedeutet, dass Du trotz der Fortsetzung Deines politischen Aktivismus hier abgeschoben werden kannst in ein Land, wo Du deswegen im Zweifel verfolgt wurdest oder wirst. Auch hier sind die Möglichkeiten also eingeschränkt. Die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen ist natürlich nie von der globalen oder - auch politischen -Situation in ihren Herkunftsländern zu trennen.

Welche, aus der von Dir geschilderten Situation von Flüchtligen resultierende Forderungen würdest Du an linke Kräfte in Deutschland herantragen?

Abschaffung der Duldung!

Abschaffung von Abschiebung und Abschiebeknästen!

Legalisierung aller Arbeitsverhältnisse!

Schluß mit - auch menschenrechtlicher - Doppelmoral,

Schluß mit Kriminalisierung, Bespitzelung und Ausbeute!

 

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