Span. Staat: Hexenjagd auf 15M-Bewegung

Mark Turm (IK) 20.06.2011 22:41 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Durch die Belagerung des katalanischen Regionalparlaments wollten die „Empörten“ in Barcelona verhindern, dass das Sparpaket der katalanischen Regionalregierung beschlossen wird. Die bürgerliche Medienhetze, angeführt von den großen Tageszeitungen und Fernsehsendern Spaniens, kriminalisiert die radikalen Sektoren der Bewegung und droht mit juristischen Schritten. Teile der Bewegung schließen sich der Verurteilung der radikalen Sektoren an. Nun es ist notwendig eine demokratische Kampagne gegen die Kriminalisierung des Protestes zu starten.
Am 15. Juni haben Tausende vorwiegend junge Menschen in Barcelona die Zugänge zum Parlament blockiert, um die an diesem Tag die stattfindende Debatte über Ausgabenkürzungen zu torpedieren und zu verhindern, dass der Haushalt der autonomen Region beschlossen würde. Die konservativen NationalistInnen (CiU) vom Regierungschef Artur Mas, unterstützt von der konservativen Volkspartei (PP) - Nachfolgepartei der faschistischen Falange Nacional –, haben sich vorgenommen, den Haushalt um fast 10% zu kürzen. Wie üblich in diesen Fällen betreffen die Einsparungen den Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. Die Blockade der Zugänge war erfolgreich, obwohl die Sitzung letztendlich nicht verhindert werden konnte: Der Beginn der Sitzung musste wurde verschoben werden. Der konservative Regierungschef Artur Mas und weitere Abgeordnete wurden daraufhin mit dem Hubschrauber eingeflogen, andere mit Polizeitransportern, einige wenige kamen zu Fuß. Ihnen riefen die DemonstrantInnen zu „Ihr repräsentiert uns nicht“, „Diebe“, „Korrupte“; sie wurden angeschrien, und zum Teil geschubst.

Die brutale Polizeirepression ließ nicht lange auf sich warten. Die katalanische Polizei, die „Mossos d’Esquadra“, prügelte den wenigen zu Fuß kommenden ParlamentarierInnen den Weg frei, friedliche DemonstrantInnen wurden niedergeknüppelt und mit Gummigeschossen beschossen. Mehr als 30 Menschen wurden dabei verletzt. Sieben von ihnen wurden festgenommen und erst nach 24 Stunden Haft wieder entlassen. Nun droht ihnen ein juristisches Verfahren. Das ist die erste Antwort einer gedemütigten Regierung auf die Wut und berechtigten Forderungen der DemonstrantInnen. Schon im Laufe des Tages fing die Kriminalisierungskampagne gegen die radikalen Sektoren der 15-M-Bewegung an. „Sie [die DemonstrantInnen] haben die rote Linie überschritten.“, sagte Mas. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine Sache, Gewalt eine andere“, führte er fort. Die Repression ist der Preis, den die DemonstrantInnen in Barcelona bezahlen müssten, da sie „Gewalt“ gegen die „Volksvertreter“ angewandt hätten. Alle Fernsehstationen, Radiokanäle und Tageszeitungen starteten eine üble Kampagne, die sogar soweit geht, diejenigen, die das Parlament umzingelten, als Stadtguerilla, oder auch „Putschisten“ und „Faschisten“, die einen neuen 23-F-Putsch - in Anlehnung an den Putschversuch vom Februar 1981, als der Kommandeur Tejero begleitet von Angehörigen der Guardia Civil in das spanische Parlament eindrang und die amtierende Regierung sowie die Abgeordneten festsetzte -  veranstalten wollten, zu beschimpfen. Für jeden Geschmack etwas dabei. Nun droht ihnen die strafrechtliche Verfolgung, die mittels polizeilicher Videoaufzeichnungen erfolgen soll. Damit es niemand falsch verstehen könnte, sagte Mas, er „wird mit allen Kräften“ die „Empörten“ verfolgen, die gegen die Demokratie vorgehen.“ (La Vanguardia: Mas promete "combatir con todas las fuerzas" a los 'indignados' que atenten contra la democracia. 19. Juli 2011)

Der Zweck dieser Einteilung in „friedliche“ und „gewalttätige“ DemonstrantInnen ist eindeutig: Mittels Kriminalisierung sollen die berechtigten Forderungen der DemonstrantInnen einerseits delegitimiert, andererseits die Radikalisierungstendenzen einiger Sektoren der DemonstrantInnen unterbunden werden, indem man sie isoliert. Die Repression, die Androhung von juristischer Verfolgung gegen „Gewalttätige“ bezweckt letztendlich, die politischen Forderungen zu bagatellisieren und jene Sektoren, die für eine radikale Lösung eintreten, mundtot zu machen.

Leider haben die Kriminalisierungsversuche der Regierung, unterstützt von den bürgerlichen Medien, bisher Erfolg. Manche Sektoren der Bewegung und sogar manche Gruppen der radikalen Linken haben sich teilweise von der „gewalttätigen Minderheit“ distanziert, und so dem von den Medien und der Regierung geschaffenen reaktionären Druck nachgegeben. Gruppen wie Revolta Global - eine dem Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale nahstehende Organisation, deren Selbstverständnis antikapitalistisch, revolutionär, ökologisch, feministisch und internationalistisch sei -, sagen heute, es ging lediglich um eine „symbolische Lahmlegung des Parlaments“ ( http://revoltaglobal.cat/article3733.html); oder wie En Lucha - eine sich als trotzkistisch bezeichnende Organisation und Mitglied der International Socialist Tendency (IST), die in Deutschland im Netzwerk Marx21 tätig ist -, die von „einem symbolischen Akt der Blockade“ spricht ( http://enlucha.org/site/?q=node/16168).

Somit stellen sich diese Gruppen gegen den Willen der Massenversammlungen vom Plaza Catalunya, die dafür gestimmt hatten, den Zugang der ParlamentarierInnen zu verhindern, damit es zu keiner Abstimmung über die Kürzungspläne kommen könnte. Diese Gruppen fürchten sich davor, den Erfolg der Aktion zu verteidigen, in der offensichtlich wurde, dass das Parlament ein fremder Ort für ArbeiterInnen und Volk, welche dieses zu vertreten vorgibt, ist, ein Ort, zu dem seine Mitglieder nur unter Polizeieskorte Zugang haben.

Zahlreiche selbsternannte SprecherInnen der Bewegung, wie in Madrid und sogar Barcelona, haben sich von den „gewalttätigen DemonstrantInnen“ distanziert, und sich rasch dem kakophonisch reaktionären Chor aller Parteien des Regimes und der bürgerlichen Medien angeschlossen. Sie sprechen für die Bewegung, ohne dass irgendeine Versammlung dies beschlossen hätte. Sie sprechen sogar davon, sich „von den kleinen Gruppierungen zu entledigen, die mit der Gewalt bzw. mit der Rechtfertigung von dieser geliebäugelt haben..“ (Los indignados cierran filas contra la violencia para recuperar apoyo social” El Periódico de Catalunya. 18/06/2011).

Diese Ausrichtung ist Wasser auf die Mühlen der Kriminalisierungs- und Stigmatisierungspolitik der kämpferischen Sektoren, die mit Schlagstöcken und Gummigeschossen traktiert werden, weil sie gegen die „Anpassungsmaßnahmen" gegen die Unterdrückten kämpfen. Nur diese Gewalt gilt zu verurteilen und zu bekämpfen.

Deshalb ist es eine prinzipielle Frage, für die bedingungslose Verteidigung aller Festgenommenen, für ihre Freiheit und Verfahrenseinstellung zu kämpfen, für den Stopp aller Verhaftungen und gegen die vom katalanischen Innenminister Felipe Puig und Artur Mas angekündigte Hexenjagd auf die Jugend, die ihre Proteste gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und Perspektivlosigkeit führen.

Sowohl in der Pressemitteilung der „selbst ernannten“ SprecherInnen der Bewegung des 15-M in Barcelona als auch in der ersten Pressemitteilungvon En Lucha glänzte diese elementare Forderung durch Abwesenheit (inzwischen fordert aber auch EL das Ende der Kriminalisierung). Revolta Global beharrt auf einer zweideutigen Position, denn einerseits wird dies in ihrer offiziellen Erklärung zwar gesagt, aber in den Erklärungen und Artikel ihrer wichtigsten öffentlichen AnführerInnen ist diese Forderung nie vorhanden; mehr noch, sie gehören zu den „selbst ernannten“ SprecherInnen der Bewegung und tragen ihre Politik mit. Sie müssen unbedingt ihre Positionen überprüfen, um dem Kampf nicht zu schaden. Sie müssen die Kampftraditionen ihrer Eltern und Großeltern gegen die Franco-Diktatur als Beispiel nehmen, die sich nicht von der „Öffentlichkeit“, also den von den bürgerlichen Medien verbreiteten Lügen, beeindrucken ließen.

Die „empörte“ und die revolutionäre Jugend in Deutschland soll sich mit den Jugendlichen und ArbeiterInnen im Spanischen Staat solidarisieren. Der effektivste Akt der Solidarität ist heute, die demokratische Kampagne einiger Sektoren der Bewegung, wie die der Gruppe "Clase contra Clase" ( http://www.clasecontraclase.org/spip.php?article672), gegen die Repression und Kriminalisierung des Protestes der „Empörten“ und für die Verfahrenseinstellung aller Festgenommenen im Spanischen Staat effektiv zu unterstützen, indem wir z.B. Unterschriften sammeln, an denen sich neben Studierenden und SchülerInnen auch LehrerInnen, DozentInnen und ProfessorInnen, aber auch ArbeiterInnenorganisationen, politische Parteien und Organisationen eintragen. Wir sollten den „Empörten“ im Spanischen Staat zeigen, dass sie mit ihrem Kampf nicht allein sind, dass sie Verbündete jenseits der Pyrenäen haben, die ihren Kampf unterstützen.

Mark Turm, "Internationaler Klassenkampf" (IK),  http://www.ft-ci.org, 19. Juni 2011


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Über die Entstehung der Bewegung, die neuesten Entwicklungen, ihre Perspektiven und die Intervention der revolutionären MarxistInnen werden wir mit Sara Povo, von der Gruppe Clase contra Clase im Spanischen Staat, und AktivistInnen der Solidaritätsbewegung in Deutschland, diskutieren.

Berlin, Freitag 24. Juni 19 Uhr, 
Versammlungsraum Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, 2.HH, 1. Stock, 
U6/U7 Mehringdamm

München, Samstag 25. Juni 19 Uhr, 
Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstrasse 80, 
U-Bhf Theresienwiese

Mehr Infos:  http://www.revolution.de.com/revolution/1106/spanien/index.html
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Ergänzungen

irgendwie

jaime 21.06.2011 - 09:25
,,,, wirfst du was durcheinander --- die "empörten" sind auch und vor allem die, die sich von dem sogenannten militanten teil distanzieren und dies war schon bei der platzbesetzung davor klar erkennbar --- von teilen einer "platzleitung" beschlossenem absoluten gewaltverzicht, der sogar so weit ging, daß eine diskussion über selbstverteidigung mit der drohung eines "platzverweises" gesprengt wurde ... als die mossos dann einen tag später, nachdem sie auf die platzbesetzer*innen einschlug, fussballfans zusammenprügelte, applaudierten die meisten auf dem platz, bildeten ein kette und feuerten die polizisten an --- mach dir mal keine grossen hoffnungen - die ausgangssituation istb eine systemkonforme, die von systembewahrer*innen ausgeht - wenn von "revolution" geredet wird, dann ist dies allenfalls eine "politische" .- wo einige Unterdrücker und Ausbheuter gegen andere ausgetauscht und ein grosser teil der "Empörten" gerne dabei wäre --- und was redest du von den "arbeiter*innen"? weil ein paar "Trotzkist*innen" dabei sind --- aua --- diese bewegung kann zum einen nur dazu dienen, einen Boden zu bereiten für wirklich soziale kämpfe, in den barrios und in den fabriken - von daher ist eine beteiligung notwenig und zum anderen in den stadteilen praktische arbeit zu machen - wie sie ja auch schon - ich rede von barcelona - geschieht....

Sic

tierr@ 21.06.2011 - 12:14
Jaime hat mir seiner Einschätzung recht...mit Ausnahme, die Beteiligung vder ArbietrInnenschaft auf trotzkistInnen zubeziehen. Das stimmt so nicht, es ist tatsächlich das Volk/el pueblo auf den Beinen/en pie und ArbeiterInnen sind präsent ...

Was hierzulande angeht: Wenn wir hier nicht endlich aus der privilegierten Distanz uns -nach Belieben oder nicht-"solidarisieren zu können, finden ...anstatt zu begreifen(comprender, dass wir von der imrepialistischen "Ökonomie"/Ressourcenkanibalismus BETROFFEN sind (auch wejn wirdas als TrittbrettfaherInnen/KonsumentInnen und NutznuiesserInnen des Sytems erst eine Weile spä6ter zu spüren bekommen (Hartz4, Prekäre, Alleinerziehernde, Behinderte, Alter, aus anderen Ländern gekommene Menschen usw. ausgenommen) dann wird das hohe Ross hier zur Rosinante und der "Kampf" zu einer Don Quichote Tragik...

Niemand braucht unsere "Solidarität" was gebraucht wird, ist dass wir uns in diese Kämpfe und Bewegungen intergrieren und uns ihnen anschliessen, Schulter an Schulter, von Mensch zu Mensch (sin fronteras) und den teil des Systems das alles zerstört, der sich hierzulande organisiert umstürzen...das ist unsere politische Verantwortung...und nicht wir kauen Tofuküchlein und gucken mal, was die machen da...und wenn sie artig sind und unseren Vorstellungen entsprechen, erklären wir uns solidarisch...
Wir leben hier vom ELEND der WELT und wir hätten WAS ZU TUN und zwar als Teil dieses Elnends und nicht aus der Distanz

Deutschland ist Schei..e aber keine Insel..auf einer Scheibe...kommt doch mal bitte in der Kugelm an und hört auf somverdammt arrogant erzogen und solzialisiert zu sein...

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