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Wohin geht die Ukraine?
von : Marius Weizenberger

30 Jan 2014 | Als am 21.11.13 der ukrainische Ministerpräsident und Parteivorsitzende der „Partei der Regionen“ (PR), Mykola Asarow, per Dekret anordnete, die Vorbereitung für die eine Woche später angesetzte Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommen stoppte und diesem somit eine Abfuhr erteilte, war dies der Beginn von Demonstrationen, wie sie die Ukraine (...)
Wohin geht die Ukraine?

Als am 21.11.13 der ukrainische Ministerpräsident und Parteivorsitzende der „Partei der Regionen“ (PR), Mykola Asarow, per Dekret anordnete, die Vorbereitung für die eine Woche später angesetzte Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommen stoppte und diesem somit eine Abfuhr erteilte, war dies der Beginn von Demonstrationen, wie sie die Ukraine seit der „Orangenen Revolution“ im Jahre 2004 nicht mehr gesehen hat. Im folgenden sollen diese Proteste, welche auch unter dem Namen ‘Euromaidan’ (nach dem Hauptziel der Bewegung – die Angliederung an die EU; und dem Platz auf dem sie stattfinden – der Maidan) näher analysiert werden.

Nationalistische Führung der Bewegung und pro-russische Gegner

Wenn man sich die Gruppierungen und Parteien auf der Seite der Protestierenden ansieht, fällt auf, dass diese ausnahmslos aus dem bürgerlichen, rechten Lager kommen. Zu nennen wäre hier freilich das sogenannte Dreierbündnis, welches sich an die Spitze der Massenproteste gestellt hat. Dieses besteht zum Einen aus der faschistischen Partei Swoboda, zum Anderen aus der von Vitali Klitschko und der CDU nahen Konrad Adenauer Stiftung gegründeten „Ukrainischen demokratischen Allianz für Reformen“ (UDAR) und der von der wegen Amtsmissbrauch inhaftierten Julia Timoschenko gegründeten konservativen Vaterlandspartei. Neben weiteren nationalistischen Organisationen wie dem „Kongress Ukrainischer Nationalisten“ (KUN) und ausdrücklichen FaschistInnen, die bei Demonstrationen prügelnd durch Kiew laufen, sind auch die orthodoxe und die katholische Kirche ein signifikanter Teil der Protestierenden auf dem Maidan.

Von außerhalb der Ukraine bekommt diese Bewegung sowohl vom US-amerikanischen Außenminister John Kerry, als auch vom ehemaligen deutschen Außenminister Guido Westerwelle Unterstützung, der klar machte: „Wir wollen die Ukraine an Bord Europas“.

Dabei ist es keineswegs so, dass die rechte Protestbewegung im ganzen Land verwurzelt ist. Ausgehend von der Hauptstadt Kiew finden die Demonstrationen hauptsächlich im ukrainischsprachigen Westen des Landes statt. Im russischsprachigen Osten, wo sich gleichzeitig der industrielle Schwerpunkt befindet, sind die Demonstrationen extrem marginalisiert, es finden sogar größere Pro-Janukowitsch-Demonstrationen statt. Diese Spaltung ist einerseits sicherlich Folge des Jahrhunderte alten kulturellen Konflikts, aber auch der Positionen der Klassen in der Ukraine. So sind die Proteste hauptsächlich von den städtischen Mittelschichten des Westens getragen, und nicht vom im Osten konzentrierten Industrieproletariat. Auch die Hochburgen der Kommunistischen Partei, welche mit der Regierungspartei die einzige parlamentarische Gegnerin des Assoziierungsabkommens mit der EU ist, befinden sich eher in der östlichen Ukraine. Die stalinistische KP, die eine relevante Kraft im ukrainischen Parlament darstellt, wirbt seit 2011 für die Zollunion und für eine weitere Annäherung an Russland, beispielsweise soll Russisch die zweite Amtssprache werden.

Ukraine als Spielball zweier Weltmächte

Die Diskussionen um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine laufen schon seit 2007. Die Gründe, weshalb die EU und an vorderster Front der deutsche Imperialismus von einem EU-Beitritt der Ukraine profitieren würden, liegen auf der Hand. Die deutsche Bourgeoisie will ihren Einflussbereich immer weiter gen Osten ausdehnen, wie sie es schon mit der EU-Osterweiterung im Jahre 2004 geschafft hat. Die Ukraine wäre ein weiterer Schritt in der Ausweitung eines deutschen Hinterhofes, der dazu dient, billige Arbeitskräfte zu generieren, der gleichzeitig die Lohnstandards in Deutschland selbst angreifen kann. Zusätzlich wäre die Ukraine ein Bollwerk gegen den russischen Konkurrenten. Es geht nicht nur um den Beitritt zur EU, sondern auch explizit um den Beitritt zur NATO. Obwohl die BRD weiterhin Russlands wichtigste Handelspartnerin ist, kriselt es seit Jahren in den deutsch-russischen Beziehungen, sei es die Haltung zu Kriegen in Syrien oder Libyen oder der Umgang mit Häftlingen wie Chodorkowskij, auch wenn Deutschland natürlich nicht auf die Ölvorkommnisse des größten Ölexporteurs der Welt verzichten kann.

Die russische Wirtschaftsleistung steigt seit einigen Jahren massiv. Wenn sein Einflussgebiet und Wirtschaftsleistung auch bei weitem noch nicht mit imperialistischen ländern mithalten kann, bezweckt es doch, mit dem Tauziehen um die Ukraine, zu verhindern, zu einer regionalen Macht degradiert zu werden.

Des Weiteren ist Deutschland direkt nach Russland einer der wichtigsten Außenhandelspartner für die Ukraine, das BIP besteht zur knappen Hälfte aus Exporten, größtenteils in die genannten länder.

Aber auch in den russisch-amerikanischen Beziehungen kriselt es gewaltig. Dort äußert sich die Krise sogar in militärischen Machtspielen. Im Syrien-Krieg beispielsweise vertreten Russland und die USA zwei entgegengesetzte Pole.

Die Ukraine ist abhängig vom russischem Öl, weshalb auch der ukrainische Präsident Janukowitsch derzeit einen Kurs in Richtung der von Putin gegründeten Zollunion mit u.a. Russland, Weißrussland und Kasachstan fährt. Er schwankt jedoch stark in seiner Haltung und des Öfteren wurde im ein „doppeltes Spiel“ vorgeworfen. Auf dieses Problem versucht die EU eine lösung zu finden. Unter anderem ist im Gespräch, dass EU-Staaten Öl von Russland kaufen und später wieder an die Ukraine verkaufen. Die Ukraine ist weiterhin ein vergleichsweise rohstoffreiches Land und nicht zuletzt der mit Abstand wichtigste Transitstaat für Ressourcen wie Erdöl und -gas aus den asiatischen ländern. Da verwundert es nicht, dass die EU die Freilassung von Timoschenko als Bedingung für weitere Verhandlungen macht, die wie Klitschko die Annäherung an die EU fordert.

Schwache ukrainische Wirtschaft

Im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Krise des Regimes der kapitalistischen Restauration kann die Haltung gegen Janukowitsch in Verbindung mit sozialer Demagogie durchaus attraktiv für die ArbeiterInnen und Unterdrückten in der Ukraine sein. Denn die Wirtschaft des Landes stagniert auf einem niedrigen Niveau und leidet noch immer unter dem massiven Einbruch durch die Weltwirtschaftskrise im Jahr 2009, bei welchem die Wirtschaftsleistung um 15 % zurückging. Die Ukraine stand bis vor kurzem noch fast vor dem Staatsbankrott. Bis vor kurzem deshalb, weil der russische Präsident Putin bei einem gemeinsamen Treffen mit Janukowitsch am 17.12.13 der Ukraine stark ermäßigte Gaspreise und einen Kredit von 15 Milliarden Dollar zugesichert hat. Das stärkte Janukowitschs Position kurzfristig.

Doch selbst wenn Janukowitsch das Assoziierungsabkommen unterschreiben würde, wäre dies nur mit massiven Angriffen auf die lohnabhängige Klasse möglich. Das Time Magazin schrieb hierzu: „Die Ukraine müsste sich zu drastischen Reformen verpflichten, staatliche Subventionen und Sozialausgaben kürzen und ihre Währung abwerten; die Folgen für die ukrainische Arbeiterklasse wären katastrophal.“

Gegen die Repression des Staates!

Die Euromaidan-Bewegung hat längst zu heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Sondereinheiten der Polizei und DemonstrantInnen geführt. In der letzten Woche wurden mehrere Menschen vermutlich von der Polizei getötet. So sehr wir als MarxistInnen die reaktionären Ziele der Proteste ablehnen, kann unsere Position angesichts der Repression nicht neutral sein. Wir können nie Gewalt des bürgerlichen Staates unterstützen, da sie zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung und Unterdrückung im Interesse der Herrschenden dient. Die Gewalt des bürgerlichen Staates steht deshalb im Widerspruch zur Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung von ArbeiterInnen und unterdrückten Sektoren der Gesellschaft. Deswegen müssen RevolutionärInnen die polizeiliche Repression auf Schärfste verurteilen und ihren Stopp verlangen.

Für die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa!

Wir MarxistInnen lehnen die reaktionären, pro-imperialistischen Kräfte, die momentan gegen die Regierung Janukowitsch mobilisieren grundsätzlich ab. Angesichts des Versuches des Der deutsche Imperialismus versucht, auf dem Wege der Semikolonialisierung der europäischen Peripherie, seine Vormachtstellung auszubauen. Angesichts dessen, ist der Versuch, die aktuelle ukrainische Regierung zu Gunsten einer Brüssel-, bzw. Berlin-treuen Regierung zu stürzen, brandgefährlich. D.h. die Annäherung zum deutschen, französischen und US-Imperialismus eröffnet eine neue Dimension, in der mittels Privatisierungen und Verschärfung der Prekarisierung die Interessen der ArbeiterInnen tiefgreifend angegriffen werden. Es besteht tatsächlich keine solide Unterstützung seitens der ArbeiterInnenklasse für die Opposition, weil die Opposition des Dreierbündnisses mit der Anlehnung an die ImperialistInnen und der neoliberalen Programmatik keine fortschrittliche Perspektive aufstellen kann. Der Aufruf Vitali Klitschkos zum Generalstreik blieb auch folgenlos. Gleichzeitig ist auch die Unterwerfung gegenüber dem russischen Kapital keine Option, denn der russische Staat aufgrund seiner Rolle als Regionalmacht kein materielles Interesse daran hat, die Unterdrückung und Ausbeutung aufzuheben. Die Losung muss also lauten, weder „Partei der Regionen“, noch Anbiederung und Kriechen vor dem deutschen, französischem und amerikanischen Imperialismus! Weder das reaktionäre ‘Dreierbündnis’, noch das autoritäre Regime Janukowitsch! Die ukrainische ArbeiterInnenklasse muss im Bündnis mit ihren Klassengeschwistern in Russland und der EU eine eigene Antwort auf die soziale Misere entwickeln und gleichzeitig die arbeiterInnenfeindliche Bewegung im Interesse des deutschen Imperialismus zurückschlagen.

Die ArbeiterInnenklasse hat keine Grenze: deshalb kann nur der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnen Russlands, der Ukraine und der anderen europäischen Staaten eine lösung für die Probleme bringen, bei der nicht die ArbeiterInnen und Unterdrückten für die Krise des Kapitals zahlen müssen. Weg mit dem Joch des deutsch-französischen Imperialismus, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

 

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