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Syrien legt die Krise der US-amerikanischen Hegemonie offen
von : Juan Chingo

21 Oct 2013 | Die Schwierigkeiten, auf die die Kriegsprojekte Obamas (und seines Schoßhündchens Hollande) in der aktuellen Krise in Syrien stießen, haben heftig und eloquent die Krise der Hegemonie der Vereinigten Staaten offengelegt – der wichtigsten Macht, die die politischen und geopolitischen Koordinaten des weltweiten kapitalistischen Systems dominiert und (...)
Syrien legt die Krise der US-amerikanischen Hegemonie offen

Die Schwierigkeiten, auf die die Kriegsprojekte Obamas (und seines Schoßhündchens Hollande) in der aktuellen Krise in Syrien stießen, haben heftig und eloquent die Krise der Hegemonie der Vereinigten Staaten offengelegt – der wichtigsten Macht, die die politischen und geopolitischen Koordinaten des weltweiten kapitalistischen Systems dominiert und kontrolliert.

International isoliert und selbst von seinem wichtigsten Verbündeten durch die negative Abstimmung im britischen Parlament abgelehnt, unfähig, beim G20-Gipfel in Sankt Petersburg die sogenannten Schwellenländer hinter sich herzuziehen, um nicht von der aktiven Opposition Russlands und der Blockade der UNO von Russland und China zu sprechen, hat der US-Präsident im US-Kongress Unterstützung gesucht. Aber die Ablehnung der US-Bevölkerung gegenüber einem neuen Krieg und die wahrscheinliche parlamentarische Niederlage haben ihn dazu gedrängt, sich an den russischen Rettungsring zu klammern, um für den Moment aus der Klemme zu entkommen, in der er im syrischen Konflikt gefangen war. Dennoch ist Obama, obwohl er momentan politisch aus dem Stillstand heraustritt, nicht nur intern geschwächt [1], da er Gefahr läuft, vorzeitig als lahme Ente („lame duck“) festgelegt zu werden, sondern viel wichtiger wird die syrische Affäre strategischere Konsequenzen auf den US-amerikanischen Hegemon haben, da die Wahrnehmung seiner Macht auf weltweiter Ebene negativ berührt wurde.

Eine interne Opposition, die es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat

Niemals seit 1945 stieß die US-Regierung auf so viel Opposition gegen ihre Handlung, nicht nur auf der Ebene er Massen, sondern selbst im Kongress, wo ihren militärischen Interventionen normalerweise fast routiniert zugestimmt wurde.
Die Kriegsmüdigkeit der US-Bevölkerung ist offensichtlich. Es geht nicht nur um Misstrauen gegenüber den Herrschenden nach den Betrügen und Verwirrspielchen von Colin Powell [2] in Bezug auf die Waffen Saddam Husseins. Die Ablehnung ist tiefgründiger: Laut einer Umfrage, die einige Tage vor der angekündigten parlamentarischen Abstimmung von der New York Times und CBS durchgeführt wurde, glaubten 75% der Befragten, dass die syrische Regierung „wahrscheinlich“ chemische Waffen gegen syrische ZivilistInnen benutzt hatte, aber dennoch war die übergroße Mehrheit gegen die von Obama vorgeschlagene militärische Antwort. Dies ist der Druck, den die Kongressabgeordneten ausdrückten. All dies ist eine Nachwirkung der lähmenden Hinterlassenschaft von Irak und Afghanistan, die von der Wirtschaftskrise auf die Spitze getrieben wird: Die US-BürgerInnen glauben nicht, dass diese Kriege im Mittleren Osten irgendetwas gebracht hätten, während sie gleichzeitig Milliarden von Dollars gekostet haben und sie ihre Arbeitsplätze und Heime verloren haben, neben weiteren Leiden, wie der fortgeschrittene Niedergang der US-Infrastruktur, insbesondere der Autobahnen, Brücken, Krankenhäusern und Schulen. Was für ein Kontrast zu den „guten alten Zeiten“ der Nachkriegs-Weltordnung der 50er und 60er! Damals waren die Militäroperationen des Imperialismus von der „Strategie der Eindämmung der Ausdehnung des Kommunismus“ geleitet, ein Euphemismus zur Rechtfertigung von Militärinterventionen, deren Ziel die Verhinderung revolutionärer Prozesse in der Peripherie war, der Zone größter Instabilität während der Weltordnung von Jalta und Potsdam. Der US-Imperialismus besaß damals – in Zeiten ökonomischen Wachstums und einer Hegemonie, zu der die anderen Imperialismen keine Konkurrenz waren – eine relativ breite einheimische und internationale soziale Basis und konnte die „kommunistische Bedrohung“ als zentrales Argument benutzen, um die öffentlichen Meinung zusammenzuhalten, seine Verbündeten auf Linie zu bringen und die Kosten der Interventionen auf weltweiter Ebene zu stemmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Vietnamkrieg (genauso wie der Koreakrieg) zu Beginn eine massive Unterstützung unter breiten Sektoren der US-Bevölkerung besaß und dass erst nach mehreren Jahren der Stillstand im Krieg angesichts des heroischen vietnamesischen Widerstands und der vielen Gefallenen eine starke Anti-Kriegs-Bewegung entstand.

Die Panik, die die Attentate vom 11. September 2001 in der Bevölkerung der USA auslösten, erlaubte Busch, mit niedrigen politischen Kosten eine außergewöhnliche neoimperialistische Politik durchzuführen, aber das Scheitern dieser beiden Interventionen kam als Bumerang zurück und untergrub die Unterstützung der Bevölkerung gegenüber neuen Kriegshandlungen. Das heißt nicht, dass diese für die US-Herrschaft unvorteilhafte Situation sich nicht ändern könnte, wie es zu Beginn der 1980er mit der Rechtsentwicklung der Situation durch den Reaganismus und seine neoliberale Offensive auf weltweiter Ebene passierte, der eine Umkehrung der Legitimitätskrise und der Welle der Infragestellungen des Regimes nach dem Vietnamkrieg bedeutete. Aber heute steigt die Unzufriedenheit mit dem imperialen Kurs. Gleichzeitig wird die Rendite der imperialen Handlungen im Gegensatz zur Vergangenheit nicht mehr gleichförmig verteilt; stattdessen verstärkt sie die existierende soziale Polarisierung zwischen der Mehrheit der Bevölkerung, deren Lebensstandard zurückgeht, und einer bereicherten Elite. Dies ist die Basis der fehlenden internen Legitimität der Militärinterventionen, in denen die Armen und die Arbeitslosen das Kanonenfutter der imperialistischen Streitkräfte bilden. Diese Realität verkompliziert die Schaffung einer soliden reaktionären sozialen Basis für imperialistische Raubzüge, die nur durch neue interne oder externe soziale Verwerfungen entstehen kann, die die Konsolidierung bonapartistischer lösungen erlauben, wie es die Neocons zu Beginn des Jahrhunderts vergeblich versucht haben.

Die wachsenden Kosten, „Weltpolizei“ zu sein

Aber zusätzlich zu dieser internen Grenze stößt die US-Herrschaft auf wachsende externe Kosten, die der Status als „Weltpolizei“ mit sich bringt. Die enorme militärische Ìbermacht der USA sorgt nicht nur dafür, dass die anderen imperialen Zentren bis jetzt vor jeder offenen Infragestellung der US-Hegemonie zurückschrecken, sondern gleichzeitig erfüllt ihr Militärarsenal die Funktion, die kapitalistische Reproduktion auf globaler Skala sicherzustellen, in der sie von eben den gleichen imperialistischen Zentren unterstützt wird. Diese sehen die USA als Unterstützung im Angesicht jedweder geopolitischen Instabilität oder revolutionärer Erhebung in der Welt, auch wenn die US-“Unglücke“ in dieser Schlüsselrolle in letzter Zeit große Uneinigkeiten unter den verbündeten ländern zu eröffnen beginnen, wie es beim Krieg gegen den Irak 2003 und sehr viel zugespitzter heute in Syrien der Fall war.
Hinter diesen wachsenden Schwierigkeiten der Funktion der „Weltpolizei“ befindet sich eine bedeutungsvolle Umwandlung der Beziehungen zwischen den zentralen ländern oder Metropolen und den zurückgebliebenen ländern der Peripherie nach den enormen Kämpfen nationaler Befreiung, die das 20. Jahrhundert durchzogen. Der mehrheitlich urbane Charakter der Massen, die kontrolliert werden müssen – im Gegensatz zu den alten Agrargesellschaften der klassischen Epoche des Imperialismus zum Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts –, sowie die Kommunikationsmöglichkeiten, die die moderne Technologie nicht nur den dortigen Massen unter sich, sondern auch mit der Außenwelt ermöglicht, und das fundamental größere politische Bewusstsein der Bevölkerungen in der Peripherie bedeuten, dass die Schwierigkeiten heute größer sind, als sie es vor hundert Jahren oder mehr waren. All dies begrenzt (oder vergrößert zumindest enorm die Kosten für) die Effizienz der imperialistischen Interventionen, wie wir MarxistInnen schon vor und während der Bush-Offensive erklärten.

Bemerkenswerterweise wurden diese wachsenden Schwierigkeiten bei der Benutzung von Gewalt und die wachsende Ineffizienz der Wahl dieser politischen Alternative zur lösung von Konflikten am Ende des vergangenen Jahres von einer der emblematischen Figuren des US-Establishments diagnostiziert: Zbigniew Brzezinski, realistischer Politiker par excellence, alter Wüstling des Kalten Krieges und Hauptarchitekt des sowjetischen Debakels in Afghanistan, wo er nicht zögerte, die islamischen Fundamentalisten zu bewaffnen (inklusive Osama bin Laden selbst), und so der sowjetischen Armee ihr „Vietnam“ zufügte. „In einer kürzlichen Rede in Polen warnte der ehemalige Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, seine Elite-Kollegen, dass die Bewegung des ‘Widerstands’ in aller Welt gegen die ‘Kontrolle von Außen’, die vom ‘populistischen Aktivismus’ vorangetrieben wird, den Ìbergang zu einer neuen Weltordnung zu entgleisen droht. Während er die Idee, dass das 21. Jahrhundert ein Amerikanisches Jahrhundert wäre, als ‘geteilte Illusion’ bezeichnete, betonte Brzezinski, dass die Dominanz der USA schon nicht mehr möglich sei, aufgrund eines beschleunigten sozialen Wandels, der von der ‘sekundenschnellen Massenkommunikation wie dem Radio, dem Fernsehen und dem Internet’ vorangetrieben wird und der ein ‘universelles Erwachen des politischen Bewusstseins der Massen’ stimuliert habe.“… „Der ehemalige Sicherheitsberater der USA fügte hinzu, dass dieser ‘Anstieg des populistischen Aktivismus in ganzer Welt der Herrschaft von außen feindlich gegenübersteht, wie sie noch in der Epoche des Kolonialismus und des Imperialismus vorherrschte.“ … „Brzezinski kam zur Schlussfolgerung, dass der ‘anhaltende und höchst motivierte populistische Widerstand, das politische Erwachen der Massen und ihre historische Ablehnung der Kontrolle von außen immer schwieriger zu unterdrücken sind.’“ [3] Auf diese selbe Frage kommt er in einem Interview im deutschen Fernsehen zurück, in dem er die Effizienz und sogar die Möglichkeit der Nutzung von Gewalt zur lösung der syrischen Krise in Frage stellt. „’Angesichts der aktuellen Realität, die ich in meinen Schriften ‘globales politisches Erwachen’ genannt habe, scheint mir eine Politik der Gewalt, die hauptsächlich auf dem Westen und in einigen Fällen auf den alten Kolonialmächten basiert, für eine endgültige lösung des regionalen Problems nicht sehr vielversprechend zu sein’, sagte Brzezinski in Bezug auf die Situation in Syrien. (…) ‘Die großen Weltmächte, neue wie alte, sehen sich ebenfalls einer neuen Realität gegenüber: Während die Tödlichkeit ihrer militärischen Macht größer als je zuvor ist, befindet sich ihre Fähigkeit, die Kontrolle über die Massen, die in der Welt politisch erwacht sind, durchzusetzen, auf einem historischen Tiefstand. Um es ohne Umschweife zu sagen: Früher war es einfacher, eine Million Menschen zu kontrollieren als sie physisch umzubringen, heute ist es unendlich viel einfacher, eine Million Menschen zu töten als sie zu kontrollieren’, sagte Brzezinski während seiner Rede vor dem Außenpolitischen Rat in Montreal.“ [4]

Diese Elemente zeigen, entgegen jeder vulgären Vorstellung, dass der US-Imperialismus nicht von einer ‘imperialen Ìberausdehnung’ im Sinne der Kosten eines unmöglichen Teils ihres BIP begrenzt wird. Während des Kalten Krieges widmete die USA einen noch höheren Prozentsatz des BIP dem Militärhaushalt als heute. Die Ìberausdehnung, die die USA als Garant in letzter Instanz der Weltordnung mehr und mehr betrifft, ist diejenige, in immer mehr peripheren ländern die Ordnung aufrechterhalten zu müssen – mehr als die öffentliche Meinung im Land akzeptieren will und die „kontrollierten“ Sektoren zu erlauben bereit sind.

Die Wurzeln von Obamas Zick-Zacks

Im Rahmen dieser sowohl internen als auch externen Beschränkungen können das kontinuierliche Zick-Zack Obamas in der syrischen Affäre verstanden werden. Als er die Präsidentschaft antrat, wollte er sich auf keinen Krieg festlegen. Sein Ziel war es, die Schwelle für militärische Handlung höher zu setzen, als sie seit dem Ende des Kalten Krieges jemals war, als die Operation Desert Storm, Somalia, Kosovo, Afghanistan, Irak und andere kleinere Interventionen das Muster der US-Außenpolitik darstellen. Obama wollte, dass die USA keine vorrangige Rolle in diesen Ereignissen spielte, sondern eine, in der die regionalen Krisen sich solange entfalteten, bis ein Gleichgewicht gefunden wäre. Diese war die Lektion nach dem Scheitern im Irak, wo die Liquidierung des Regimes von Saddam Hussein das existierende Gleichgewicht der Kräfte zum Vorteil von Iran zerstört hatte. Sein Ziel war es, allgemein eine geringere Rolle in der Führung des internationalen Systems zu übernehmen. Höchstens wollte er Teil der Koalition der Nationen, nicht der Anführer sein, und sicherlich nicht der zentrale und noch weniger der einzige Akteur; stattdessen priorisierte er die essentiellen Interessen der USA. Ein Beispiel davon war die Intervention in Libyen, wo die USA keine zentrale Rolle spielte, sondern diese Frankreich und Großbritannien überließ.

Im Rahmen dieser aufkommenden neuen Doktrin – eine Anerkennung der Grenzen des Unilateralismus des vergangenen Jahrzehnts – muss die berühmte rote Linie verstanden werden, die Obama im Fall Syriens gezogen hat: Niemals dachte er, dass diese Linie, die für die aktuellen Konflikte zu hoch war, überschritten werden würde. Aber nachdem die Chemiewaffen tatsächlich benutzt wurden, die als Massenvernichtungswaffen eingestuft werden – wie auch biologische oder nukleare Waffen – und deren Besitz und/oder Benutzung die USA als eine Bedrohung für sich wahrnehmen, fiel die neue strategische Schwelle, die Obama aufgestellt hatte, in sich zusammen. Gleichzeitig erweckte die Vorstellung von einem weiteren Genozid die ParteigängerInnen humanitärer Interventionen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Regierung, wie der Senator John McCain. Es ist dieser Widerspruch, der das Schwanken von Obama erklärt: einerseits wollte er strategisch überhaupt nichts von Syrien wissen. Aber die Ideologie der Massenvernichtungswaffen und der humanitären Intervention zwangen ihn zum Kurswechsel. Aus diesem Grund erklärte er die Kriegsgefahr, während er gleichzeitig jede Glaubwürdigkeit der Nutzung dieser Option untergrub, wodurch er sie zu einer bloßen Geste der Missbilligung der USA wegen der Nutzung von Chemiewaffen begrenzte. Diese Position – oder besser gesagt dieser Widerspruch in seinen Begriffen, da man nicht den Krieg erklären und dies gleichzeitig zu einer bloßen Geste reduzieren kann – regte die ParteigängerInnen des Krieges auf, die eine effektive US-amerikanische Aktion wollten, die die Kräfteverhältnisse in dem Land zwischen Assad und seinen GegnerInnen verändern würde. Gleichzeitig ermutigte dies all jene, die sich diesem neuen Kurs der USA widersetzten, insbesondere Russland.

Ein offenes Fenster, das Russland nutzte

Barack Obamas Handhabung der syrischen Krise ruft bei einigen AnalystInnen immer stärker die Erinnerung an die Iran-Krise zu Zeiten des US-Präsidenten Jimmy Carter vor mehr als 30 Jahren wach, insbesondere die gescheiterte Operation zur Befreiung der Geiseln in der US-Botschaft im Jahr 1980 [5]. Dieses Fenster der Möglichkeit nutzte der russische Präsident Wladimir Putin, indem er ein Abkommen vorschlug (welches nur schwierig umgesetzt werden könnte), nachdem das syrische Chemiewaffenarsenal abgeschafft oder vernichtet werden sollte. So bot er Obama einen Rettungsring an, der ihm wenigstens temporär aus der Zwickmühle half. Für Russland war diese wiederherstellende Rolle in einer größeren Krise das erste Mal, dass sie seit den letzten Tagen der Sowjetunion – als Moskau zwischen den Monaten der irakischen Invasion in Kuwait 1990 und der Antwortoperation unter Führung der USA am Anfang von 1991 marginalisiert wurde – eine so wichtige internationale Rolle einnahm.

Aber obwohl Russland aus dieser Krise gestärkt hervorgeht, liegt das eher an der Schwäche der USA als durch ihre eigenen Stärken. Die Realität ist nicht, dass Russland jetzt wieder eine der „Größen der Welt“ wäre, sondern dass die USA nicht mehr das ist, was sie einmal war. Aus diesem Grund sind die Argumente derjenigen völlig gegenstandslos, die in diesem diplomatischen Triumph Russlands die Rückkehr des Kalten Krieges sehen oder sich in ihren Vorhersagen eines „Umkrempeln der Welt“ bestätigt glauben, wo die alten Mächte des Westens – USA und Europa – geschwächt und die neuen aufstrebenden Mächte gestärkt würden [6]. In Wirklichkeit kann Moskau den USA auf militärischer Ebene nicht ansatzweise das Wasser reichen, und seine grundlegende ökonomische und politische Basis ist schwach (da es in großem Maße von seiner Rolle als Rohstoffexporteur abhängt). Zudem ist Russland heute weit davon entfernt, die Rolle zu spielen, die die ehemalige UdSSR gespielt hat, insbesondere in Bezug auf ihre Kontrolle der weltweiten ArbeiterInnenbewegung. Im Gegenteil ist die „soft power“ des Putin’schen Russlands und seiner autoritären und bonapartistischen Regierung fast gleich Null.

Bilanz: Es ist nicht der alte Isolationismus, sondern imperialer Niedergang

In Wirklichkeit gibt es hinter dem Widerwillen Obamas, Gewalt anzuwenden, einen fundamentalen Grund: der Niedergang der US-amerikanischen Macht nach den Niederlagen im Irak und in Afghanistan und nach den Hindernissen, auf die die USA bei der Wiederherstellung seiner Herrschaft in einer strategischen Region treffen, die noch von den komplexen Prozessen des arabischen Frühlings durchschüttelt wird, und all dies vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise. Dies ist, was eine US-amerikanische Analystin bei CNN scharf hervorhob, die nur Tage vor den Verhandlungen Obamas weit über die konjunkturellen Analysen hinausging und das untersuchte, was die Syrien-Krise über die aktuelle Positionierung der USA in internationalen Angelegenheiten aussagt: „… Das wirkliche strategische Problem für die USA ist, dass ‘wir nach der Invasion Iraks, Afghanistans, Libyens – eine jede immer weniger effektiv, mit mehr und mehr Rückschlägen – jetzt in einer Position sind, glaube ich, in der wir, wenn wir Syrien angreifen würden, wie Präsident Obama geplant hat, der Welt zeigen würden, dass die Militärmacht der USA, unsere politische Macht und unsere wirtschaftliche Macht ernsthaft schrumpfen.’“ [7] In der Konsequenz hat diese strategische Schwäche, die die Syrien-Krise aufdeckte, enorme Auswirkungen auf die Fähigkeit der USA, ihre Rolle als Weltpolizei auszuüben und ihre Interessen den Verbündeten und Feinden aufzuzwingen. Eine Schwäche auf dieser Ebene hätte langfristige Konsequenzen und könnte andere Staaten wie Iran oder Nordkorea dazu ermutigen, die Bedingungen der USA und seiner Agenten herauszufordern. Genauso macht die mögliche diplomatische Annäherung zwischen Iran – wo das Abkommen mit Russland gern gesehen wurde – und den USA all die regionalen GegnerInnen Irans im Mittleren Osten von Saudi-Arabien bis Israel nervös [8]. Die Türkei ist ebenfalls über den wachsenden russischen Einfluss in der Region besorgt. Aber auch über diese Zone hinaus wird das Bild, dass Russland die USA zum Rückzug zwingt, in der gesamten russischen Peripherie widerhallen, wo Russland von Neuem einen Einflussbereich in den Republiken der ehemaligen UdSSR (insbesondere Ukraine und Aserbaidschan, eine Schlüsselalternative der Energieherrschaft) und allgemeiner in den osteuropäischen ländern, in denen das russische Kapital in der Hitze der europäischen Krise Positionen zurückerobert, zu konsolidieren versucht. Dazu kommt die fehlende Sorge der USA über diese Region, die sich von den Problemen im Mittleren Osten nicht lösen kann. In Lateinamerika hat die US-Diplomatie, kaum von Syrien erholt, einen neuen Schlag erlitten, als die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff entschied, ihre große Reise zur Versöhnung Brasiliens mit den USA auf Mitte Oktober zu verschieben, die seit Langem vom US-Außenministerium vorbereitet worden war. In anderen Worten, die Schwäche, die die USA in Syrien gezeigt hat, verbindet sich in diesem Fall mit den immer noch heißen Auswirkungen der Enthüllungen der NSA-Spionage.

All diese Elemente zeigen, dass wir vielleicht vor einem neuen Sprung im Verlust der US-Hegemonie stehen. Der besorgte Timothy Garten Ash erlaubt sich nicht zu lügen: „Um diese Haltung zu beschreiben, die man heute bei vielen Demokraten wie Republikanern wahrnimmt, nutzt man häufig einen wenig einfallsreichen Begriff: ‘Isolationismus’. Unzweifelhaft hat die USA eine Geschichte des periodischen Rückzugs in ihre immense kontinentale Gleichgültigkeit, wie es nach dem Ersten Weltkrieg geschah. Aber dieses Mal ist das Gefühl ein anderes. Obwohl es offensichtlich ist, dass der aktuelle Widerstand gegen die Intervention mit einigen dieser traditionellen Fälle zu tun hat, findet dies heute in einem Land statt, welches sich nicht in einem vollen und heftigen Aufstieg auf weltweiter Ebene befindet, sondern welches ein ängstliches Bewusstsein seines relativen Abstiegs hat.“ Und er schlussfolgert düster: „Den zahlreichen Verleumdern und sogar den Feinden der USA in Europa und der ganzen Welt sage ich nur eins: Wenn euch die alte Welt nicht gefiel, in der die USA unablässig intervenierte, wartet nur ab, wie euch eine neue Welt gefällt, in der sie es nicht tut.“ [9]

Dieser Sprung in der Krise der US-Hegemonie heißt nicht, dass die USA, die weiterhin die wichtigste imperialistische Macht auf weltweiter Ebene ist, keine aggressiven Politiken mehr verfolgen wird – insbesondere dort, wo ihr nationales Interesse auf dem Spiel steht (hauptsächlich jede Bedrohung vermeiden, die ihre Herrschaft über die Meere in Frage stellen könnte, insbesondere im Fall, dass eine gegenhegemoniale Macht in Eurasien entstünde, die ihr diese Kontrolle streitig machen könnte). Es bedeutet auch nicht, dass diese Schwäche notwendigerweise durch die Massen der ArbeiterInnen und der Armen im Sinne ihrer Interessen ausgenutzt werden wird, solange diese an ihrer Spitze reaktionäre Führungen haben, wie es die Irak-Krise zeigt, wo das Land nach dem Rückzug der US-Truppen in einen BürgerInnenkrieg zwischen SunnitInnen und SchiitInnen zurückfiel, oder Afghanistan, wo die USA eine Verhandlungslösung mit den Taliban sucht. Aber was ebenfalls sicher ist, ist dass die Welt aufgrund der Rolle der USA als Garant der kapitalistischen Regierungsfähigkeit auf internationaler Ebene für die imperialistischen Interessen im Allgemeinen und die US-Interessen im Besonderen gefährlicher werden wird, da sie größerer Instabilität und politischer Krisen ausgesetzt sein werden. Es ist an der Zeit, dass wir RevolutionärInnen Mut, Kühnheit und Entschlossenheit aus dieser historischen Krise des weltweit wichtigsten imperialistischen Gendarms ziehen, um uns auf die Situation einzustimmen und vor allem den ArbeiterInnen zu helfen, auf der Höhe der krampfartigen Zeiten zu sein, die sich eröffnen könnten.

25/09/2013

 

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