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Entsteht eine Opposition der Arbeiter zur Regierung von Evo Morales?
von : David Dias

09 Jun 2010 |

Am 1. Mai hat der Präsident Evo Morales die Verstaatlichung von vier Unternehmen, einem Energieversorgungsunternehmen und drei Kraftwerken angeordnet. Jenseits seiner Erklärungen („Wieder einmal werden am ersten Mai unsere privatisierten Unternehmen zurückerobert“) verblasst dieses Mal diese „kluge“ Verstaatlichung (d.h. der Ankauf von mehr als 50% der Unternehmensaktien), nach den Wahlproblemen vom April inmitten einer starken Distanzierung der Gewerkschaften, die dieses Mal nicht zum zentralen Platz „Murillo“, sondern durch die Straßen marschierten um Lohnerhöhungen zu fordern.

Rebellion der Fabrikarbeiter

Am Dienstag, den 25. April sind im Bezirksbund der Fabrikarbeiter von La Paz (Federación Departamental de Trabajadores - FDTFLP) etwa 30 Generalsekretäre zusammengekommen, um einen Hungerstreik zu beginnen. Seit März entstand eine Protestbewegung, die heute zweifelsohne eine große Rebellion der Fabrikarbeiter darstellt, was seit vielen Jahren nicht mehr vorkam. Dabei handelt es sich um einen mehr als berechtigten Kampf um Lohnerhöhungen, einen Kampf gegen das von der Regierung ausgearbeitete unternehmerfreundliches Arbeitsgesetzt, das ein Streiks und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung im öffentlichen Dienst (im Gesundheitswesen, der Lehrerschaft etc.) verbietet. Auch gegen die Einführung eines Rentengesetzes zielen die Kampfmaßnahmen hin.

Am Donnerstag, den 27. April fand wiederum eine massive Demonstration statt, angeführt vom Bezirksgewerkschaftsverband von La Paz (COD) und der FDTFLP mit zig Tausenden von Arbeitern und Arbeiterinnen, die durch die Gässchen und Alleen von La Paz marschierten: Der erste Halt wurde vor dem Nationalkongress der COB (Central Obrera de Bolivia – zentraler Gewerkschaftsbund Boliviens, hauptsächlich der Minenarbeiter) gemacht, wo die Demonstranten lautstark den Rücktritt von Pedro Montes (dem Gewerkschaftsführer) und eine Versammlung einforderten.
Währenddessen, innerhalb des Kongresscenters und hinter verschlossenen Türen, die den lärm der Dynamitdetonationen draußen abdämpfen sollten, erstatte die Exekutive der COB langweilige Berichte über das Scheitern der Gespräche zwischen den Bevollmächtigten der COB und der Regierung über das Arbeitsgesetzbuch und das Rentengesetz. Schließlich beschloss die COB einen vierundzwanzigstündigen Streikaufruf für den 4. Mai.

Die Demonstration machte auch vor dem Arbeitsministerium Halt, wo die Demonstranten den Rücktritt der Arbeitsministerin Carmen Trujillo (ehemalige Fabrikarbeiterführerin), des Planungsministers Walter Delgadillo und des Wirtschaftsministers Arce Catacora forderten. „Rücktritt jetzt!“ - riefen die Arbeiter, dabei warfen sie rote Farbe an die von der Polizei geschützten Wände des Ministeriums. Fußgänger begrüßten den Demonstrationszug mit Jubelrufen und als er am Gebäude der Fabrikarbeiter gegenüber dem historischem Platz „De los Héroes“ ankam, wurde dieser von den Hungerstreikenden aus dem 5. Stockwerk begrüßt. An diesen 1. Mai, im Unterschied zu den vergangenen Jahren, als Pedro Montes noch die Demonstrationszüge der Arbeiter zum offiziellen Akt an den Hauptplatz führte, damit sie dort sprichwörtlich tanzten, war der Platz diesmal genauso menschenleer, wie am letzten Wahltag. Am 1. Mai gab es zwei Demonstrationszüge, die durch die Straßen der von La Paz marschierten, einer bedeutend kleiner als sonst angeführt von der COB und ein anderer angeführt von der FDTFLP und des CODs, der groß, kämpferisch und in Opposition zur Regierung auftrat. Wieder wurden die Wände mit roter Farbe beschmiert, diesmal die des Ministeriums. Dabei wurden die Provokationen einiger Bergarbeiterführer der COB zurückgeschlagen. Diese mussten sich bis zum Gebäude der Bergarbeiterföderation zurückziehen. Am Dienstag, den 4. Mais marschierten Tausende im Rahmen des von der COB aufgerufenen nationalen Streiks durch die Straßen des Zentrums der Stadt. Somit verwandelten sie den bürokratischen Streikaufruf in ein politisches Ereignis, das mit der Verhaftung von 17 Arbeitern, denen jetzt Strafprozesse und Gefängnis drohen, endete. Die Regierung von Evo Morales hatte eine starke Repression der Arbeiter angeordnet, die sogar den Einsatz von Tränengas gegen die Zentrale der Fabrikarbeiter zur Folge hatte, wo sich die Hungerstreikenden befinden.

Während der MAS-Regierung hat sich für die Lohnabhängigen wenig geändert

Diese aufgebrachte Situation ist ein logisches Ergebnis von mehr als vier Jahren der Regierung der MAS (Movimiento al Socialismo), in denen sich die Lage der Lohnabhängigen wenig geändert hat. In den Fabriken müssen die Arbeiter dieselbe Ausbeutung wie jeher erdulden, dieselbe Arroganz der Bosse, dieselben niedrigen löhne wie unter früheren Regierungen. Während der ganzen Woche konnten durchs Fernsehen verfolgt werden, wie die Minister der MAS Delgadillo, Arce und Aguilar nicht müde wurden, die elende Lohnerhöhung von 5% zu verteidigen, die die Regierung gewähren will. Dabei tun sie so, al ob sie Beschützer der Staatskassen (Tesoro General de la Nación) seien. Doch Forderungen der Arbeiter würden nicht im Geringsten die Staatskassen angreifen, denn die Lohnerhöhungen müssten von jenen privaten Unternehmern bezahlt werden, die in den letzten Jahren mehrheitlich den von der MAS-Regierung angeordneten Lohnerhöhungen nicht nachgekommen sind. Wen verteidigen also die Minister der MAS? Sie verteidigen die Kapitalisten und ihre Gewinne, sie verteidigen Ausbeuter wie Doria Medina (König der Zementindustrie), Eduardo Bracamonte (Chef des Juwelenexports), oder Iberkleid (Bonze der Textilindustrie). Das Kabinett, angeführt von García Linera, rechtfertigt genauso wie die vorigen Regierungen, die „Unmöglichkeit“ einen Lohn anzubieten, der die grundlegenden Lebenshaltungskosten einer Familie deckt. Das erweist sich als einleuchtend, wenn die Profite der Kapitalisten nicht angetastet werden sollen, und die Beibehaltung einer auf Abkommen und Verträge gegründeten Strategie mit den Unternehmern, den Bankiers und den besitzenden Klassen gewährleistet werden soll.

Regime, Regierung und Arbeiterkämpfe

Die Rebellion der Fabrikarbeiter findet im Rahmen einiger Kämpfe und brancheninternen Forderungen statt, wie seinerzeit die Straßenblockade und Protest der Anwohner von Nor Lípez [eine Provinz im südwestlichen Teil des bolivianischen Departamentos Potosí] gegen den multinationalen Konzern San Cristóbal, oder die Landbesetzungen der Landlosen in Santa Cruz, oder jetzige Straßenblockaden in Caranavi in den Yungas [Talgebieten] von La Paz aufgrund der Ansiedlung einer Zitrusfrüchte verarbeitenden Fabrik, die von zwei Regionen beansprucht wird, oder auch der Kampf im öffentlichen Dienst (der Staatsangestellten von Staatsangestellten im Gesundheits-, Schul- und Hochschulwesen) gegen das Gesetz über die „Zuständigkeiten der Staatsdiener“ (Ley del servidor público), die die gewerkschaftliche Organisierung verbietet. Man muss sich bewusst machen, dass das Wiederaufflammen des gewerkschaftlichen Kampfes im Rahmen eines neuen Regimes stattfindet, das mit der herrschenden Klasse vereinbart wurde. Daher ist es wichtig, den wesentlichen Unterschied zwischen Regime und Regierung stets vor Augen zu haben. Die relative Stärke des neuen Regimes, die Ausdruck des Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist - das sich in einem System aus Institutionen und Gesetzen wiederspiegelt -, ist eine Sache, die ebenfalls relative Stärke der Regierung, die heute die Folgen des Wahlverlustes in sieben von den zehn größten Städten des Landes zu spüren anfängt, und dadurch instabiler, eine andere. Außerdem ist die Regierung als Garant und Urheber der neuen Ordnung gezwungen, immer weiter Abstand von den sog. „sozialen Bewegungen“ zu nehmen.

Die durch den Erlass des neuen Arbeits- und Rentengesetzes hervorgerufene Krise verdeutlicht wie schwer es für den bürgerlichen Staat ist, sich ein neues institutionelles Gerüst zu erschaffen. Deshalb werden wir mehr Krisen, mehr Kämpfe und mehr Mobilisationen erleben. Aber was diese Phänomene von den Mobilisierungswellen und Kämpfen der letzten Jahre unterscheidet, ist dass die seit 2003 stattfindenden Arbeiter- und Bauernaufstände sich im Rahmen eines starken Regimes vermehren, das aus einem Pakt mit den Ausbeutern hervorgegangen ist. Auf der anderen Seite ragt allmählich ein neues soziales Subjekt empor, die Arbeiterklasse, die fast ein Jahrzehnt hinter dem Banner breiterer Volksbewegungen kämpfte. Dieses Mal betreten die Arbeiter die Kampfarena wieder mit ihren eigenen Bannern, im Namen ihrer eigenen Klasse, mit ihren eigenen Methoden des Klassenkampfes inmitten einer kapitalistischen Krise weltweiten Ausmaßes, auf die nur die Arbeiterklasse eine progressive Antwort geben kann.

Für einen demokratischen und kämpferischen Kongress des Gewerkschaftsbundes COB

In Demonstrationen von zig Tausenden in Städten La Paz, Oruro und Cochabamba fordern die Arbeiter die Einberufung eines Kongresses der COB. Diese wurde immer wieder vom Funktionär Pedro Montes und seiner Klicke verschoben, da sie im Dienste der Interessen der Regierungspartei stehen. Heute ist die Aufschiebung unhaltbar. Diese Situation hat die COB-Bürokratie dazu veranlasst, ein Vorbereitungstreffen für den 6. Mai aufzurufen, bei dem die Grundsteine für den nächsten Kongress der COB festgelegt werden sollen. Die proletarische Avantgarde muss verhindern, dass diese Instanz wieder einmal von der Bürokratie und dem Offizialismus bestimmt wird. Wir brauchen ein Kongress der COB, bei dem nicht nur die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter sondern auch diejenigen, die über keine gewerkschaftliche Organisierung (Dank der Arbeit der Bürokraten der COB in Allianz mit den Unternehmen und des Arbeitsministerium) verfügen, teilnehmen. Wir müssen für einen Kongress mit Basisdelegierten kämpfen, die in Versammlungen an den jeweiligen Arbeitsplätzen gewählt werden, um einen Kampfplan gegen das Arbeitsgesetz, das Gesetz über Zuständigkeiten im öffentlichen Dienst und das Rentengesetz, gegen die Willkür der Bosse in Unternehmen und für die Koordinierung unter allen kämpfenden Sektoren auszuarbeiten. Es soll ein Kongress werden, der uns als Stütze dient, und somit den Kampf um die Klassenunabhängigkeit beflügelt. Das ist die Politik der LOR-CI. Wir haben diese Positionen mit Tausenden Flugblättern und Zeitungen am 1. Mai unter die Arbeiter getragen. Sie zielen darauf ab, die Rebellion der Fabrikarbeiter zu unterstützen und für eine Kampfpolitik und die Klassenunabhängigkeit einzustehen.

[1] Die LOR-CI (Liga Obrera Revolucionaria) ist die Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale in Bolivien. Den Beitrag unserer Genossen der LOR-CI zum 1. Mai in Bolivien kann unter www.lorci.org nachgelesen und angeschaut werden.

 

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